In seiner Kolumne „Was haben Sie gesehen, Herr Obrist?“ befragt Christoph Amend den Kurator Hans Ulrich Obrist nach seinen Entdeckungen. Diesmal geht es um die Ökologie von Tomás Saraceno, Kartoffeln von Agnes Varda und eine Ausstellung in Arles
Von
15.08.2023
Arles. Wobei ich in dieser Zeit im Jahr gar nicht so viel sehe, weil ich hauptsächlich Ausstellungen aufbaue. Ich kann vor allem davon erzählen.
In diesem Jahr hat die junge libanesische Architektin Lina Ghotmeh den Pavillon übernommen, ihre Arbeit hat sie „À table“ genannt. Wir haben ja in den vergangenen Jahren viele junge Architektinnen und Architekten beauftragt, wie Sumayya Vally aus Kapstadt und Frida Escobedo aus Mexico-City. Der Serpentine Pavilion ist eine gute Plattform, um Arbeiten sichtbar zu machen, die in der Architekturwelt vielleicht noch nicht so sichtbar waren. Frida Escobedo beispielsweise hat vor ihrem Pavillon 2018 außerhalb von Mexiko relativ wenig gebaut – jetzt gewann sie den Wettbewerb um die Erweiterung des New Yorker Metropolitan Museum, ein 500-Millionen-Dollar-Projekt. Und Francis Kéré, der den Pavillon 2017 gebaut hat, wurde im vergangenen Jahr mit dem Pritzker-Preis ausgezeichnet …
Zum ersten Mal in der Geschichte des Pavillons hat sie ihn ganz aus Holz gebaut. Es gibt einen riesigen Tisch, der sich durch den Raum zieht und an den sich die Besucherinnen und Besucher setzen können. Da kommen Menschen zusammen, die sich noch gar nicht kennen. Es gibt keine Türen, alle sind willkommen. Wir brauchen solche Orte in der Stadt. Parallel dazu haben wir in der Galerie eine Ausstellung von Tomás Saraceno aufgebaut. In unserem Nebengebäude zeigt Gabriel Massan aus Brasilien ein Videospiel, das man sich umsonst herunterladen kann, entwickelt mit unserem Arts Technology Team. Er hat mit anderen jungen Künstlerinnen und Künstlern zusammengearbeitet, deren analoge Werke digital zu sehen sind, Castiel Vitorino Brasileiro, Novíssimo Edgar, Jota Mombaça und Ventura Profana Sound Design von Lyzza sowie Masako Hirano, Marcinho Manga, Ralph McCoy, Carlos Minozzi, Iraj Mohtasham, Alexandre Pina und Sweet Baby Inc. Ich freue mich so darüber, dass jetzt wieder ein Teenager-Publikum zu uns in die Galerie kommt.
Als Institution muss man immer bereit sein, sich zu verändern. Tomás Saraceno hat uns gesagt, dass es in unseren heutigen Zeiten nicht mehr geht, etwa eine Ausstellung zum Thema Ökologie über Videos zu zeigen – und die Energie dafür nicht selbst zu produzieren. Deshalb hat er unser Dach jetzt mit Solarzellen ausgestattet, die auch nach seiner Ausstellung bleiben werden. Er hat die Klimaanlage ausgeschaltet. Sollte es im Sommer wieder zu einem Hitzerekord kommen, bleibt die Galerie geschlossen.
Wird einfach alles draußen unter den Bäumen stattfinden. Er konnte jetzt schon alle Türen aufmachen, er lädt die Tiere des Parks ein, Eichhörnchen, Vögel, Hunde, es gibt ja unglaublich viele Hunde bei uns im Park. Und natürlich Spinnen!
Die Luma-Stiftung in Arles arbeitet seit einigen Jahren mit meinem Archiv. Diesen Sommer zeigen wir Installationen von Agnès Varda und unsere vielen gemeinsamen Gespräche, die auf Video aufgezeichnet sind.
Ich habe sie 2002, vermittelt durch Annette Messager, das erste Mal getroffen. Sie sagte, dass sie auf diesen Besuch lange gewartet habe. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie von Kurzfilmen bis langen Filmen alles gemacht, was man im Kino machen kann – aber noch nie in der Kunstwelt gearbeitet. Wir haben sie zu unserer Gruppenausstellung „Utopia Station“ auf der Biennale in Venedig eingeladen, das war ihr Zugang in die Kunst. Sie hat sich damals mit Kartoffeln beschäftigt und sich sogar als Kartoffel verkleidet, alle waren ganz hingerissen. Bis zum Ende ihres Lebens hat sie vor allem Kunstinstallationen gemacht.
Ich komme zurzeit nicht zum Lesen, aber ich möchte diese Kolumne dem großen Hans-Peter Feldmann widmen, der vor Kurzem gestorben ist. Zu einer Ausstellung, die wir derzeit auf vielen Bildschirmwänden überall in Dänemark zeigen, hat er einen Scherenschnitt beigesteuert. Es war eine seiner letzten Arbeiten.