Osmar Osten

Ein bisschen Dada

Osmar Osten ist ein Wort- und Bildartist aus Chemnitz, dessen skurriler Hintersinn, gepaart mit sächsischer Gelassenheit, verlässlich für gute Laune sorgt

Von Ralph Gerstenberg
04.09.2023
/ Erschienen in Weltkunst Nr. 215

Osmar Ostens Arbeitsplatz sieht aus wie ein Stillleben: benutzte Tuben, Paletten, Pinsel, Werkzeuge, die von changierenden Farbresten übersät zu einer blaugrüngrauen Einheit verschmelzen. In einem Plastikeimer ist noch das tiefe Blau erkennbar, mit dem er eines seiner dynamischen Fischbilder gemalt hat, das dahinter auf einer Kiste steht. Das könne man so oder so aufhängen, erklärt er, hält das Bild in die Höhe und dreht es um 180 Grad. Erst schwimmen seine Fische vom hellen ins dunkle Blau, dann vom dunklen ins helle.

Der dreiundsechzigjährige Künstler trägt nicht nur zum Pressetermin ein kariertes Jackett mit Einstecktuch, Weste und Cordhose, sondern in der Regel auch bei der Arbeit. Ständig habe er vergessen sich umzuziehen und es irgendwann einfach sein gelassen, erzählt Osten. An die kaum vermeidbaren Farbflecken auf Kleidung und Autositzen habe er sich inzwischen gewöhnt. Nur Braun sei unschön, das könne eine noch so teure italienische Farbe sein – nein, Braun sei wirklich nicht vorteilhaft.

Braun ist zum Beispiel das Bild, das ganz vorn an der Wand aufgereiht ist. „Die Kunstwerke betrachten ihre Betrachter. Die Kunstwerke beurteilen ihre Betrachter. Die Kunstwerke bestaunen ihre Betrachter“ lautet der Titel des Kunstwerks, das darauf wartet, von Betrachtern betrachtet, beurteilt und bestaunt zu werden. Eine typische Arbeit Osmar Ostens, der gerne das eigene Tun und den Betrieb, den er damit bedient, zum Gegenstand seines Schaffens macht. „Wir sind doch alle digitale Künstler“, heißt ein anderes Werk des – abgesehen von einem Handy und einer fremdgepflegten Website – gänzlich analog agierenden Künstlers. Auch die weit verbreitete bedeutsame Ernsthaftigkeit seiner Branche fordert Ostens Spott heraus. In Ausstellungen werde relativ selten gelacht, bedauert er und freut sich, wenn das bei seinen Präsentationen anders ist. Auf einem Holzriss von 2017 resümiert er: „Ich war zur Documenta – es hat nur geregnet“.

Osmar Osten Atelier Chemnitz
Im Atelier des Künstlers haben auch erzgebirgische Nussknacker ihren Platz. © Foto: Catherine Peter

Ostens Atelier befindet sich in einer ehemaligen Fabrik für Textilmaschinen, südlich vom Chemnitzer Stadtzentrum. Schon seit den 1990er-Jahren hat er dort sein Wirkungsfeld, ist mehrmals im Komplex umgezogen, während sich der ehemalige VEB zu einem sanierten Gewerbeareal mit exquisiter Kaffeerösterei entwickelt hat. Die Ateliermiete ist aber noch vergleichsweise moderat, in Leipzig oder Berlin müsste er das Doppelte dafür zahlen. Das sei der entscheidende Grund hierzubleiben, meint der Künstler, der fast sein gesamtes Leben in Chemnitz verbracht hat, und wischt damit jeden Verdacht von Heimatverbundenheit oder Lokalpatriotismus mit einem Lächeln vom Tisch.

Osmar Osten ist ein Mann des skurrilen Hintersinns, ein Wortartist und Verfechter des Uneindeutigen, der Schubladen bereits ahnt, bevor sie überhaupt geöffnet werden. Schon als Kind war der 1959 als Bodo Osmar Münzner im ehemaligen Karl-Marx-Stadt geborene Künstler ein Außenseiter. In der elterlichen Wohnung gab es keine Kinderbücher, aber eine große Sammlung der schmalen, schön gestalteten Bändchen der Insel-Bücherei. Darin entdeckte er Holzschnitte und Stiche von Lucas Cranach und Urs Graf sowie alte Pflanzen- und Tierabbildungen, die ihn zu ersten Mal- und Zeichenversuchen inspirierten. Als Jugendlicher kam er dann in Kontakt mit den Betreibern der Karl-Marx-Städter Galerie Oben und der Künstlergruppe Clara Mosch – Michael Morgner, Thomas Ranft, Carlfriedrich Claus, Gregor-Torsten Schade und Dagmar Ranft-Schinke. Die sächsischen Bohemiens, die mit ihren radikalen Performances, Pleinairs und Installationen bei den staatlichen Kunstwächtern aneckten, waren sehr freundlich, erinnert sich Osten. Weit mehr als die provokanten Kunstaktionen und Selbstinszenierungen inspirierten ihn jedoch die Grafiken der Gruppe – die Fantasielandschaften von Thomas Ranft und vor allem die Sprachblätter und Schriftzeichnungen von Carlfriedrich Claus. Sie bestärkten ihn in seinem Eigensinn und seinem Formwillen, der mehr mit Dada zu tun hatte als mit sozialistischem Realismus.

Osmar Osten Chemnitz
Osmar Osten trägt gern karierte Sakkos – auch beim Malen. © Foto: Catherine Peter

Nach einer Lehre als Landschaftsgärtner wurde Osten aufgrund seiner „außergewöhnlichen Begabung“ 1980 an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden aufgenommen. Der subversive Sinn für Absurditäten, der sich schon damals in seinen als Sprechbilder bezeichneten Text-Bild-Kombinationen äußerte, brachte den Studenten mehrfach in Bedrängnis. 1985, nach Beendigung des Studiums, arbeitete er als freier Künstler in der DDR – beargwöhnt, aber geduldet, wie so viele, die mit den offiziellen Darstellungen der sozialistischen Realität wenig am Hut hatten. Der Idealisierung des proletarischen Lebens stellte er nach einem Besuch im Bergbaukombinat Wismut seine „Bergmänner“ entgegen: drei schattenrissartige menschliche Köpfe, die nebeneinandergereiht an die Marx-, Engels- und Lenin-Plakate von den Aufmärschen und Kundgebungen des SED-Staates erinnerten. Sich selbst zeichnete er 1987 in seinem melancholischen „Portrait des Künstlers als junger Bergmann“.

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