Künstliche Gedanken

Abschied vom Pergamonmuseum

Das populärste Haus auf der Berliner Museumsinsel wurde für mindestens vier Jahre geschlossen. Und als Ganzes werden die antiken Kulturen hier frühestens 2037 wieder zu erleben sein. Ein letzter Besuch in der islamischen Abteilung

Von Sebastian Preuss
25.10.2023

Berlin präsentiert sich gerne, im Leben wie in der Kunst, als Stadt des Jungen und Unkonventionellen, als ein brodelnder Kessel der zeitgenössischen Kultur. Ob das tatsächlich so ertragreich eingelöst wird wie immer behauptet, lässt sich diskutieren. Auf alle Fälle ist es bemerkenswert, dass in Berlin, wo man so inbrünstig die Gegenwärtigkeit zelebriert, ausgerechnet die Trutzburg der frühen klassischen Hochkulturen das populärste unter allen Museen ist. Rund 1,3 Millionen Besucherinnen und Besucher strömten bis zur Teilschließung im Herbst 2014 jährlich ins Pergamonmuseum, um in die Welt der antiken Götter einzutauchen, den Figurenfries des großen hellenistischen Altars aus Pergamon, das Markttor von Milet oder das Ischtar-Tor aus Babylon mit einer ganzen Prozessionsstraße zu bewundern. Auch auf die zahllosen assyrischen Schrifttafeln, die kunstvollen Keramikgefäße und Teppiche aus Persien oder dem Osmanischen Reich lassen sich die Besucherinnen und Besucher mit großem Interesse ein. Selbst als die Hauptattraktion im Mittelbau, der Pergamonaltar, und der gesamte Nordflügel mit griechischen und römischen Skulpturen und Architekturteilen wegen der großen Sanierung geschlossen wurden, kamen 2019 im Jahr vor der Pandemie immer noch 800.000 Besucher, darunter viele junge Menschen aus aller Welt.

Das alles ist jetzt erst einmal vorbei. Die Tore sind zu, bis mindestens 2027. Dann sollen der Nordflügel und der Mitteltrakt mit dem Altar wieder geöffnet werden – wenn der Termin nicht, wie so oft in Berlin, zu optimistisch kalkuliert ist. Der Südflügel soll erst 2037 wieder zugänglich sein, auf das Erlebnis des gesamten Museums werden wir also noch sehr lange warten müssen.

Pergamonmuseum Ischtar-Tor
Blick auf das Ischtar-Tor im Pergamonmuseum. © Vorderasiatisches Museum, Staatliche Museen zu Berlin / David von Becker

Ursprünglich war geplant, während der Bauarbeiten immer einen Teil offen zu halten. Das ließ sich aber technisch, logistisch und aus Rücksicht auf die Kunstwerke nicht realisieren. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz zögerte lange, dies einzugestehen, und verkündete erst im März, dass das Museum am 23. September komplett geschlossen wird. Das steigerte das Interesse enorm, und in den letzten Wochen waren alle Zeitfenstertickets ausgebucht.

Es war ein tolles Erlebnis, wie der 1930 fertiggestellte Museumspalast, der sichtlich in die Jahre gekommen ist und dringend saniert werden muss, in dieser Zeit noch einmal aufblühte. Wie Jung und Alt in vielerlei Sprachen das gewaltige griechische Markttor, die babylonische Prozessionsstraße mit ihren blauen Fayencefliesen, uralten Artefakte des Zweistromlands sowie die islamische Kunst ein letztes Mal sehen wollten.

Was oft vergessen wird: Das Pergamonmuseum beherbergt drei Museen – die Antikensammlung, das Vorderasiatische Museum und das Museum für islamische Kunst. Damit bietet sich eine einzigartige Synthese der Kulturen: Sumerer, Babylonier, Assyrer, Hethiter und Aramäer in dem sechstausendjährigen Überblick aus Vorderasien, die Griechen und Römer, schließlich die rasanten wachsenden Kalifate des Islams, die Kunstblüten in Persien und im Osmanischen Reich. Im Erdgeschoss, wo künftig dank eines vierten Flügels zur Spree die großen antiken Architekturen in einem durchlaufenden Rundgang zu erleben sein werden, kommt noch Ägypten hinzu.

Pergamonmuseum Gebetsnische (Mihrab)
Gebetsnische (Mihrab) aus der Beyhekim-Moschee in Konya. © Museum für Islamische Kunst, Staatliche Museen zu Berlin / Georg Niedermeiser

Das Museum für islamische Kunst, eines der ältesten der Welt, stand in den letzten Jahrzehnten immer ein wenig im Schatten des Pergamonaltars oder des Ischtar-Tores. Darum habe ich mich bei meinem letzten Besuch kurz vor der Schließung ganz darauf konzentriert. Ich muss gestehen, dass ich fast vergessen hatte, wie reich und bedeutend diese Sammlung ist. Besonders fasziniert war ich von der Entwicklung der Keramik in den islamischen Ländern: Wie früh hier herrliche Glasuren mit metallischem Schimmer (der Lüstrierung) und kunstvollen Dekoren entstanden, und auf welchem Niveau sich das weiter entwickelte. Ich konnte mich nicht sattsehen an diesen Stücken. Zugleich rollt sich hier die gesamte Geschichte des Islams vom 7. bis zum 19. Jahrhundert ab.

Und dann die Teppiche. Die Kollektion ist legendär geht auf den Museumsgeneral Wilhelm von Bode zurück, der um 1900 wichtige Prunkexemplare aus Persien, dem Kaukasus und Anatolien erwarb. Trotz verheerender Brandschäden im Zweiten Weltkrieg ist diese Abteilung immer noch eindrucksvoll – auch weil hier eingehend dargestellt wird, wie Teppiche erforscht und restauriert werden.

Das Museum für islamische Kunst ist durch die Krisen im Nahen Osten wie die Integrationsprobleme im Westen heute so aktuell wie wohl noch nie. Sicher wird es sich nach der Sanierung anders und gegenwartsbezogener darstellen. Es bleibt zu hoffen, dass die Ästhetik dieser wunderbaren Artefakte dabei nicht zu kurz kommt; und ebenso wenig, wie die islamische Kunst nach ganz Europa ausstrahlte. Auch wird sich zeigen, wie der mittlerweile 23 Jahre Entwurf des 2007 verstorbenen Oswald Mathias Ungers mit seinen strengen Quadratrasterungen dann wirkt. Bis es so weit ist, werden noch viele Jahre ins Land gehen und am Ende wahrscheinlich 1,5 Milliarden Euro für die Sanierung und den Umbau ausgegeben worden sein. Zeit und Geld hin oder her, eines ist jetzt schon sicher: Das Pergamonmuseum wird dann wieder ganz schnell das beliebteste Museum Berlins.

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