Bild des Tages

Friedrich und die magischen Felsen

Das 250. Jubiläumsjahr Caspar David Friedrichs rückt näher. Dem bedeutendsten Vertreter der deutschen Romantik werden nicht nur große Ausstellungen gewidmet – mit „Zauber der Stille“ feiert auch Bestseller-Autor Florian Illies den norddeutschen Maler

Von Alicia Ettwig
26.10.2023

Fast zu schön, um wahr zu sein – denkt man beim Betrachten des berühmten Werks „Kreidefelsen auf Rügen“, das Caspar David Friedrich im Jahr 1818 schuf. Und genau genommen stimmt das auch. Auf insgesamt sieben Reisen durchwanderte der Maler die Ostseeinsel und studierte ihre Natur- und Küstenlandschaften. Schon zu seiner Lebzeit waren die Kreidefelsen Rügens ein beliebtes Ausflugsziel. Doch wer heutzutage die Küste entlangwandert, um die Aussicht auf die Felsen zu genießen, muss feststellen: Ganz so wie zu Friedrichs Zeiten sieht es dort nicht (mehr) aus. Das liegt zum einen daran, dass die Felsen nach mehr als 200 Jahren abgewaschener und nicht mehr so spitz sind und dass beim Blick auf den Horizont heute in der Ferne klein Windräder zu sehen sind. Aber auch daran, dass die vier Felsen in genau dieser Formation so nie existiert haben. Ein wiederkehrender Stil Friedrichs: Er malte Landschaften zwar immer nach einem Vorbild, fügte aber teilweise Details hinzu oder veränderte sie, wenn er es für schöner hielt. Eine Art magischer Realismus.

Das Gemälde entstand während Friedrichs sechsten Besuchs auf Rügen, der Teil seiner Hochzeitsreise war. Die Konstellation der drei Personen, die – typisch für Caspar David Friedrich – von hinten zu sehen sind, wirft Fragen auf. Der Mann auf der rechten Seite, der den Maler selbst darstellt, blickt sehnsüchtig in die Ferne, unbeirrt von dem Geschehen links von ihm. Bei der Frau im roten Kleid handelt es sich vermutlich um seine Ehefrau, die 20 Jahre jüngere Christiane Caroline Bommer. Sie streckt die Hand aus, um dem Mann in der Mitte zu helfen. Friedrich stellt hier wahrscheinlich die Szene einer früheren Rügenreise dar, bei der ein Freund von ihm beim Klettern in den Kreidefelsen stürzte. Auch diese Szene hat es in dieser Konstellation wohl nie gegeben.

Der gebürtige Greifswalder wuchs in einer Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs und der kulturellen Erneuerung auf. Früh von tragischen Verlusten geprägt – er verlor seine Mutter und mehrere Geschwister in jungen Jahren –, entwickelte er eine tiefgreifende Sensibilität, die sich in seinem künstlerischen Schaffen widerspiegelte. Die Fähigkeit Friedrichs, Emotion und Landschaft zu verknüpfen, erweiterte die Grenzen der Malerei. Seine Werke sind nicht nur visuelle Darstellungen von Orten, sondern Fenster zu den Seelenzuständen, die diese Orte hervorrufen. In einer Zeit der industriellen Revolution und des sozialen Wandels war Friedrichs Rückbesinnung auf die Natur und ihre Beziehung zum Menschen revolutionär. Als einer der Hauptvertreter der Romantik ebnete er den Weg für nachfolgende Generationen von Künstlern, die sich von der Natur inspirieren ließen und sie als Mittel zur Selbstreflexion nutzten. Seine Werke sind nicht nur ästhetisch ansprechend, sondern auch tiefgründig und vielschichtig.

Das Hauptwerk „Kreidefelsen auf Rügen“ befindet sich im Besitz des Schweizer „Kunstmuseums Winterthur“. Anlässlich des 250. Geburtstags des Künstlers wird es vom 18. August bis zum 6. Oktober in einer Sonderausstellung des Pommerschen Landesmuseums zum ersten Mal in seiner Heimatregion zu sehen sein.

Florian Illies, Autor und Mitherausgeber der ZEIT, entwirft in seinem neuen Buch „Zauber der Stille“ das Bild eines Genies, das vieles konnte, nur eines nicht: Menschen malen. In dem gerade erschienenen Werk vermischt er seine journalistischen Recherchen mit dokumentarischen Fundstücken und eigenen Bildinterpretationen, greift wissenschaftliche Zitate und historische Fakten auf und lässt seine literarische Fantasie spielen. Über Friedrich sagt er: „Er wird geliebt, gehasst und er verstört die Menschen.“

Übrigens: Für die neue Ausgabe des Weltkunst-Podcasts „Was macht die Kunst?“ hat Chefredakteurin Lisa Zeitz mit Florian Illies über Caspar David Friedrich gesprochen.

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