Seit sechzig Jahren schafft Katharina von Werz Gemälde und Skulpturen voller Ausdruckskraft. Zu Besuch bei der Künstlerin, die in einer bohemienhaften Villa mit herrlich verwunschenem Garten arbeitet und lebt
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10.10.2023
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Erschienen in
Weltkunst Nr. 219
Von einem Daumenkino zu sprechen wäre übertrieben. Aber wenn Katharina von Werz unten im Keller ein Bild nach dem anderen auf ihr Schaupodest hievt, dann geht das so rasch, dass man mit dem Betrachten kaum nachkommt. Schon gar nicht beim Helfen. „Die sind nicht schwer“, flunkert sie höflich, um nach der zehnten, elften Leinwand doch etwas außer Atem zu kommen. Natürlich haben die anderthalb Meter breiten Keilrahmen, die sie aus dicht gefüllten Regalen zieht, ein gewisses Gewicht. Auf der anderen Seite entwickelt von Werz eine solche Begeisterung, dass sie in ihrem liebevollen Fuhrwerken sämtliche Äußerlichkeiten vergisst.
Die Kälte im Depot nimmt die sommerlich leicht gekleidete Malerin gar nicht erst wahr und fährt in weit ausladenden Gesten die zentralen Partien einer Komposition nach. Kraftvolle Bögen münden da in einen gleißenden Strudel, aus dem sich bei genauem Hinsehen wieder eine Figur schält. Zwei sogar, die eine Farbexplosion auseinanderzutreiben droht und zugleich verkettet. Ein Liebespaar? Die Anziehung dringt aus jedem Pigment, mehr Emotion geht nicht, aber auch nicht mehr Bewegung.
Man fragt sich ohnehin, wo diese zierliche kleine Frau ihren Akku versteckt hat. Bald wird sie 83 und will es selbst nicht so recht glauben. Nach einem mehr als 60-jährigen Künstlerinnenleben könnte sie es ruhiger angehen, das Frühstück im Garten zum Beispiel länger ausklingen lassen – ihr Mann Franz Moll hat frische Croissants zum Kaffee besorgt. Doch mit Bequemlichkeit braucht man „Boppi“, wie sie alle nennen, nicht zu kommen. Wer den Skilift links liegen lässt und Touren geht, tickt anders.
„Kürzere Strecken“ seien es mittlerweile, „der Anstieg nicht mehr so steil“, beschwichtigt sie in charmantem Understatement, wie man es in München eher selten antrifft. Es ist aber auch dieses völlig Unaufgeregte, die Selbstverständlichkeit, mit der Katharina von Werz die Dinge angeht. Nicht alles abwägen und mögliche Hürden einkalkulieren, sondern machen und geschehen lassen, lautet die Devise. Dann fügt es sich schon.
Wer das Wohnhaus der Molls im Stadtteil Bogenhausen betritt, sieht sich in einer erweiterten Wunderkammer aus Kunst, Krimskrams und Kuriositäten. Der Zufall arrangiert und drapiert, tagelang könnte man hier stöbern, staunen und die Gedanken umherschweifen lassen. Etwa wenn sich kleine Skulpturen zwischen Notizzetteln und Zeitungsstapeln aalen, als seien es Sanddünen am Strand. Unter der Decke kreisen originelle Lampenschirme, die an die Papyrusboote der alten Ägypter oder die ersten Flugzeuge der Brüder Wright erinnern. Unten, auf dem Eichenparkett, schleicht ein hölzerner Löwe des Tierbildhauers Franz Weickmann. An der Raubkatze, von der gerade noch Schweif und Hinterlauf zu sehen sind, lehnen aktuelle Gemälde von Katharina von Werz – ihr Mädchen- ist auch ihr Künstlername. Und an den Wänden gehen die eigenen Arbeiten schließlich ein reizvolles Tête-à-Tête mit den Werken befreundeter Künstler ein.
Manches von der Gruppe Spur ist darunter, Helmut Sturm und Lothar Fischer stechen heraus. Etwas höher funkt fluoreszierendes Rot von Rupprecht Geiger dazwischen. Auf ein weiteres Werk des Münchner Kollegen hatte von Werz vor vielen Jahren bei einem Bildertausch gehofft, nur sei die Geiger’sche Gabe nie bei ihr eingetroffen, amüsiert sie sich. Stefan Moses war dagegen dauernd am Fotografieren, bessere Familienaufnahmen dürfte es in der Stadt kaum geben, ganz sicher keine witzigeren. Moses hat jede noch so groteske Maskerade festgehalten, die Kostümpartys im Hause Moll waren legendär und frappierend nah am Dadaismus. Selbst Katharinas Vater, der Architekt Helmut von Werz (der zum Beispiel das Hochhaus des Bayerischen Rundfunks baute), warf sich gerne in eine Napoleon-Pose, alles war lustvoll überdreht, und man könnte die damals entstandenen Filme und Fotos locker als schrill-schräge Happenings in der Kunstszene lancieren.
Der Humor ist tief in der Familie verwurzelt, und Fantasie fand sowieso Anklang. „Wenn wir Kinder mit den Eltern im Volkswagen auf Reisen gingen, waren die Malsachen immer dabei“, erinnert sich von Werz. Beim Picknick im Weinberg oder auf einer Wiese hätten der Vater und die beiden Brüder genau das festgehalten, was sie vor sich sahen. Nur sie, die Jüngste, sei ganz woanders gelandet. Doch der Vater, mit dem Katharina bald in scherzhafte Konkurrenz trat, lobte seine Tochter für ihre herrlichen Hirngespinste. Er sah das Talent, zumal die Kunst in dieser Familie nie eine Nebenrolle gespielt hat.
Die Großeltern mütterlicherseits waren beide ausgebildete Maler. Sie, Cateau Kalff, kam aus Holland nach München, um Hans Hofmanns Kunstschule an der Georgenstraße zu besuchen. Dort hatte Max Obermayer sein Atelier und verguckte sich in die junge Frau, die sich mit ihren Blumenbildern am Landsmann Van Gogh orientierte. Als Spross einer Hoteliersfamilie war Obermayer eigentlich dazu ausersehen, mit seinen Brüdern das „Vier Jahreszeiten“ an der Maximilianstraße zu führen, doch die Leinwand lag ihm sehr viel näher. Um die Jahrhundertwende machte er bald mit frischen, einfühlsamen Porträts von sich reden. Das mochte ihn auf seinem Weg fern der alten akademischen Zöpfe bestätigen, allerdings soll der Großvater sehr darunter gelitten haben, dass sich die Leute erkennen wollten. Malerische Eskapaden waren daher nicht drin, und er hatte eine Familie zu versorgen. Dabei verbrachten die Obermayers viel Zeit in Murnau und damit in unmittelbarer Nähe zur experimentierfreudigen Künstlergruppe des Blauen Reiter um Franz Marc und Wassily Kandinsky.