Ute und Werner Mahler

Ein gemeinsames Bild

Ute Mahler und Werner Mahler erhalten in diesem Jahr den Kulturpreis der Deutschen Gesellschaft für Photographie. Ein Hausbesuch bei dem wegweisenden Fotografenpaar, dessen Schule und Agentur Ostkreuz Fotografiegeschichte geschrieben hat

Von Catherine Peter
30.10.2023

Am vergangenem Sonnabend, als Ute Mahler und Werner Mahler vor laut applaudierendem Publikum stehen, ist hinter ihnen auf der Leinwand ein Bild projiziert. Eine junge Frau, die Hände in dem Schoß gefaltet, sitzt vor einer Straßenkreuzung und blickt uns in sich ruhend an. Die Darstellung ist so subtil, dass man zwar unweigerlich an die Mona Lisa denken muss, sie aber nur im Hinterkopf behält, um sich die ähnlich geheimnisvolle Erscheinung dieser Frau genauer anzuschauen. Die Serie „Monalisen der Vorstädte“ (2009–2011) schlägt ein neues Kapitel in Ute Mahler und Werner Mahlers fotografischem Werdegang ein. Seit über fünfzig Jahren ein Paar, hatten sie sich bis dahin bei der fotografischen Arbeit nur gegenseitig assistiert, doch von nun an bis heute arbeiten sie zu zweit.

Ute und Werner Mahler Monalisa Vorstadt
Ute und Werner Mahlers „Monalisen", 2009-2011, verbindet Porträt und Stadtlandschaft. © Ute und Werner Mahler

Mitte Oktober, eine Woche vor der Preisverleihung, in Mahlers Küche in Lehnitz. Es ist Herbst geworden, rund um das Haus liegt feuchtes Laub, doch hier am Tisch ist es gemütlich. Es gibt schwarzen Tee und gerade dreht sich das Gespräch um das abgeschlossene Projekt einer Ostkreuz-Studentin. Das vorgegebene Thema war „Liebe“. Ute Mahler findet die Ausführung fantastisch, Werner Mahlers Begeisterung hält sich in Grenzen. Die Diskussion geht weiter in einem lebhaften Hin und Her, im Verlauf des ganzen Besuches wird es so sein. „Wir fallen uns ins Wort und jeder hat recht“, fasst Ute Mahler zusammen. Der rege Austausch über Bilder und der damit verbundene Arbeitsprozess ist Teil ihres Alltages. Er ist sogar ein grundlegender Brauch der Agentur und Schule Ostkreuz geworden.

Atelier von Ute und Werner Mahler in Lehnitz
Das Atelier von Ute und Werner Mahler in Lehnitz. © Catherine Peter

Gemeinsam mit Sibylle Bergemann, Harald Hauswald, Jens Rötzsch, Thomas Sandberg und Harf Zimmermann gehörten die Mahlers 1990 zu den sieben Gründern der Agentur. Mit dem Namen Ostkreuz wurde ein selbstbewusster Akzent gesetzt, der die gemeinsame Herkunft und Arbeit in der DDR betonte und gleichzeitig einen festen Standpunkt markierte. Die Fotografen hatten bereits zu DDR-Zeiten ein bedeutendes Werk geschaffen, ganz unabhängige Bildsprachen entwickelt, die etwa Elemente der Street Photography in der Modefotografie umsetzen, was bedeutende Fotostrecken in der legendären Frauenzeitschrift Sibylle belegen. Die neue Agentur sollte, inspiriert von der New Yorker Fotoagentur Magnum, diese Erfahrungen und Kreativität zusammenbringen. Von Anfang an vertrat Ostkreuz einen journalistischen Ansatz und wurde eine wichtige Produktionsstätte für die dokumentarische Fotografie. Heute ist sie mit 26 Fotografen eine erfolgreiche, unabhängige Agentur, mit weltweitem Renommee.

Unterricht bei Werner Mahler in Lehnitz im Jahr 2004 Ostkreuz
Unterricht bei Werner Mahler in Lehnitz im Jahr 2004. © Foto: Anne Schwalbe
Ute Mahler Ostkreuz Lehnitz
Ute Mahler mit Schülerinnen und Schülern 2007 in Lehnitz. © Foto: Anne Schwalbe

Einige dieser Fotografen stammen aus dem eigenen Nachwuchs. Als Werner Mahler seinen Lehrstuhl an der privaten Fotografieschule am Schiffbauerdamm aufgeben wollte, überzeugten ihn seine Studenten, eine eigene Schule aufzubauen. Daraufhin gründete er gemeinsam mit Thomas Sandberg 2004 die Ostkreuzschule. Ein Jahr darauf stieß Ute Mahler als Lehrkraft dazu. Heute, nach fast zwanzigjährigem Bestehen, ist die Schule eine lebendige und wichtige Ausbildungsstätte für junge Fotografen und Bildredakteure. „An der Ostkreuzschule stehen die Arbeiten der Studenten im Mittelpunkt“, erzählt die ehemalige Ostkreuzlerin und Fotografin Anne Schwalbe. Sie gehörte zum ersten Jahrgang, wie Tobias Kruse, der mittlerweile selbst Mitglied der Ostkreuz-Agentur und Dozent an der Schule ist. Er hat damals als Praktikant in der Agentur angefangen und erinnert sich an den Unterricht mit Ute Mahler: „Es war sehr familiär. Wir haben einfach über Bilder geredet und uns das Werk von Fotografen und Fotografinnen angeguckt. So ist es im Prinzip heute noch. Man trifft sich und redet über Bilder, irgendwann dann hauptsächlich über die eigenen.“

Werner Mahler Berka
Aus Werner Mahlers Abschlussarbeit über das Leben der Bewohner des thüringischen Dorfes Berka, 1977/78. © Werner Mahler
Ute Mahler Zirkus Hein
Eine Aufnahme aus der Serie „Zirkus Hein", 1973-1974, Ute Mahlers Diplomarbeit. © Ute Mahler

Wie richtig die Entscheidung war, sich die Zeit zwischen der Professur und der eigenen Arbeit aufzuteilen, beschreibt Ute Mahler während unserem Besuch rückblickend: „Dass ich alle zwei Wochen in einer Auftragnehmerin-Situation wie die Studenten war, fand ich immer sehr gut. Da hat man ein Thema, noch nicht wissend, wie man es umsetzt, dann tastet man sich ran, entwickelt ein eigenes Konzept etc. Diese Wechselwirkung fand ich großartig. Deshalb hat es auch so lange Spaß gemacht.“ Und Werner Mahler ergänzend: „Auch für die Studenten ist diese Praxiserfahrung der Lehrenden sehr wichtig.“ Seit ihren fotografischen Anfängen in den 1970er-Jahren verfolgen die beiden einen ähnlichen dokumentarischen Ansatz, bei dem das Hauptinteresse dem Alltag der Menschen gilt, wie ihre jeweiligen Serien angefangen mit „Zusammenleben“ (Ute Mahler), „Berka 1977/78“ (Werner Mahler) bis heute mit „Strömen“ (Ute Mahler und Werner Mahler) zeigen.

Ein aktuelles Projekt vereint Mahlers mit einem weiteren Fotograf-Mitglied der Familie. Für seine Abschlussarbeit an der HGB Leipzig hatte Werner Mahler in den Siebzigerjahren das Dorfleben in Berka dokumentiert, Ute Mahlers Geburtsort. Damals wussten beide noch nicht, dass Ute Mahlers Vater Ludwig Schirmer, später ein erfolgreicher Werbefotograf in Berlin, in Berka seine ersten fotografischen Schritte gegangen war. Anfang nächsten Jahres wird ein Buch bei Hartmann Books erscheinen, das alle drei Fotografen und über 70 Jahre Dorfgeschichte zusammenbringt. Auch Ute Mahler hat nun zum ersten Mal in Berka fotografiert. Wie bei allen Projekten von Ute und Werner Mahler wird Fotografie auch hier eine bewahrende, menschliche und gemeinschaftliche Angelegenheit sein.

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