Symmetrie galt in der Inneneinrichtung als Ideal, bis im 19. Jahrhundert die Individualität auftrumpfte. Unsere Stilkolumne gibt Tipps für ein kunstvolles Heim. Folge 25: das Spiel von Gleichklang und Abweichung
ShareSymmetrie ist die Ästhetik der Dummen, so heißt es. Das stimmt natürlich nicht. Denn man muss erst mal so clever sein, sich zurechtzufinden in einer Umgebung, in der beide Seiten gleich sind (im Linienflug die Sitze a, b, c links, die d, e, f rechts). Symmetrie kann verwirrend sein oder formelhaft, aber eben auch etwas schlicht, simpel und vernünftig; sie ist jedenfalls der klassische, traditionelle Umgang mit der Vielgestalt dieser Welt und gilt als Voraussetzung für Schönheit.
Völlige Symmetrie wurde in der Innenarchitektur so lange betrieben, bis das Private erfunden wurde. Paläste, Gärten, Räume waren bis zum 18. Jahrhundert strikt symmetrisiert. Erst als die maximalen höfischen Zwänge aufweichten, wurde es in den Innenräumen spielerischer, unterschied sich das Links vom Rechts. Das ging vom kleinen Zierelement oder Möbelstück im Rokoko (wobei es dann von allem trotzdem zwei gespiegelte Exemplare gab) bis hin zum viktorianischen Stil Ende des 19. Jahrhunderts, wo fast keine Diele mehr ihresgleichen hatte. Zu viel Symmetrie ist ein bisschen blöde, aber zu viel Asymmetrie macht auch nicht schlauer. Man ahnt es, wir haben es hier mit einem Spektrum zu tun, dessen bester Punkt wahrscheinlich am goldenen Schnitt zwischen den beiden Polen liegt, in Richtung Symmetrie. So dürfte für genügend Harmonie gesorgt sein bei gleichzeitiger Spannung. Dafür ist der goldene Schnitt ja da.
Selbst die als große Verfechter der Symmetrie wahrgenommenen Granden der Innen- und Außenarchitektur wissen um den Wert der Spannung, der bei durchgehender Symmetrie gleich null ist. Der „Kaiser Friedrich Museumsverein“ (verdienter Förderverein der Berliner Gemäldegalerie) sagt, dass der mutmaßliche Auftraggeber der oben abgebildeten „Architektonischen Vedute“, der Herzog von Urbino, ein guter Freund Leon Battista Albertis gewesen sei, dem wichtigsten Architekturtheoretiker der Frührenaissance. „Im kühlen Licht nehmen sich diese kulissenhaften Stadtperspektiven trotz mathematischer Präzision zugleich als irreale Räume aus, deren Menschenleere auch das Unheimliche, das solchen Konstrukten innewohnt, zu inszenieren scheint.“ Mit der mathematischen Präzision ist natürlich auch die Symmetrie gemeint. Und wir finden, eigentlich ist genau sie für das Irreale und das Fremde verantwortlich. Konsequente Symmetrie ist zwar ordnend und möglicherweise beruhigend, aber eben nicht behaglich. Da kann heute in den „am menschlichen Erleben“ ausgerichteten Shopping Malls auch noch so viel Holzimitat und „Emotion“ vorhanden sein. Die Künstlichkeit des Gleichmaßes, von dem angenommen wird, es sei der kleinste gemeinsame Nenner der Kundschaft, lässt uns als konsumierende Figuren in Simulationen von Gesellschaft zurück.
Wenn wir aber genau hinsehen, haben die Symmetristen Alberti und der Herzog natürlich die gleichmäßige Grundhaltung des Bildes geschätzt, aber die Variationen der Formen auf jeder Seite sicherlich als der Schönheit zuträglich begriffen. Geschlossene Fassade hier, Arkaden dort. Wie Cindy Crawfords Schönheitsfleck oder später Giorgio de Chiricos Piazze di impossibilità. Alles ist perfekt, aber damit die Perfektion auch bemerkt wird, gibt es die komponierte Abweichung. Wir möchten die Auseinandersetzung über Symmetrie daher gern als die Überlegungen zum Verhältnis des einen zum anderen verstehen.
Eine andere Symmetristin, Edith Wharton, schrieb in ihrem Standardwerk „The Decoration of Houses“ von 1897 kritisch über die „Vorstellung, dass die Beachtung der Symmetrie auf Erfindungsarmut, mangelnden Einfallsreichtum und widerstandslose Kapitulation vor einer bedeutungslosen Form hinweist“. Der gerade noch allgegenwärtige viktorianische Stil war ihr in seiner Einzelteiligkeit ein Elend. Daher legte sie fest: „Die Beachtung der Symmetrie erfüllt nicht nur ein legitimes künstlerisches Erfordernis, sondern trägt auch dazu bei, dass der durchschnittliche Raum angenehmer zu bewohnen ist.“ Irgendwie hört sich das heute trotzdem langweilig und nach dem Weg der geringsten Erregung an. Das funktioniert wahrscheinlich im Schlafzimmer eines Paares gut, das schon alles hat (Kinder, zum Beispiel). Zu viel asymmetrische Aufregung wiederum ist in den Gesellschaftsräumen auch nicht nötig, sonst gucken beim Bridge-Spielen alle nur auf Cindy Crawfords Schönheitsfleck.
Was also tun? Wer aber das eine (Spannung) will und das andere (Ausgewogenheit) braucht — das heißt, wir alle —, hat zwei Möglichkeiten, in seiner Einrichtung beides herzustellen: Man kaufe von allem zwei Stücke derselben Form, zwei Stühle, zwei Tischchen, zwei Kissen, zwei Lampen, zwei Glühbirnen, zwei Freunde, zwei Drinks und ordne sie eben nicht symmetrisch an. Oder man besorgt von jedem Funktionsgegenstand zwei unterschiedliche Teile und ordnet sie, Spannung!, symmetrisch an.