Streifen bringen Räume in Bewegung und sind die perfekte Illusion. Unsere Stilkolumne gibt Tipps für ein kunstvolles Heim. Folge 27: die Geschichte der gestreiften Wände
ShareWissen Sie, wer die Streifen erfunden hat? Es war der Teufel oder zumindest sein Dekorateur. So waren die Vorhänge in der Hölle – mutmaßlich aus Pannesamt – ursprünglich deshalb gestreift, weil die dem Fegefeuer zugewandten Falten verkohlten. Die innenliegenden Falten blieben verschont. Nun ist Privatsphäre in der Hölle ein seltenes Gut, aber gut: Wenn der Leibhaftige im Bedürfnis nach Diskretion die Vorhänge zuzog, hatte er, wir ahnen es: gestreifte Vorhänge. Rot-Schwarz oder so.
So ungefähr oder eigentlich kaum so geht die Geschichte. Aber wäre es nicht bemerkenswert, wenn der Streifen vom Muster der Unordnung, der Kriminalität und des Lasters zum rivierahaften Dekorationselement für Frische, Freiheit, Spiel, Strand und Vergnügen würde? Und genau so war es auch. Allem diabolischen Schwank zum Trotz, glaubt man Michel Pastoureaus Buch „Des Teufels Tuch, eine Kulturgeschichte der Streifen und der gestreiften Stoffe“ von 1991. Was nicht einfarbig war, galt im Mittelalter als suspekt, wurde als Bedrohung der gottgewollten Ordnung verstanden. Streifen wurde von Gauklern, Prostituierten, Gefangenen, Henkern getragen und hatten auch später zunächst noch degradierende Funktion.
Ein bisschen ist es heute noch so. In einem Innenraumkonzept etwa, dass sich in Ablehnung der überquellenden Welt da draußen den Minimalisumus auf die zumeist hellfarbigen Fahnen schreibt, hat der Streifen keinen Platz, zu frivol und ferienhaft. Eher ist der Streifen die einfachste Form des Maximalismus. In der bildenden Kunst verhält sich das kurioserweise ganz anders. Minimal Art ist ohne Streifen undenkbar. Frank Stella, Agnes Martin, Judy Chicago, Sol LeWitt. Aber auch das 14. Jahrhundert machte Ausnahmen, und die berühmteste finden wir in Siena. Die Italiener waren wieder schneller im Design: Giovanni Pisanos Dom von Siena hatte durch seine vertikal gestreiften Fassaden und Innenräume den Bilbao-Effekt schon Jahrhunderte vor dem dortigen Guggenheim-Bau, und die Gestaltung nahm eigentlich nur das Wappen der Stadt auf – ein weißer über einem schwarzen Balken.
Am häufigsten werden Streifen als Dekorationselement also mit den mittelalterlichen Kirchen in Nord- und Mittelitalien in Verbindung gebracht. Diese italienische Tradition inspirierte das von John Ruskin gefeierte und seinen Zeitgenossen so geliebte polychrom gestreifte Mauerwerk der viktorianischen Architektur sowie seine Verwendung in der postmodernen Baukunst, vor allem bei James Stirling und Mario Botta. Im Innenraum geliebt, sind Außenstreifen an Fassaden immer noch eine Provokation für die mönchskuttige Nachbarschaft. Adolf Loos‘ Haus für Josephine Baker wurde nie gebaut. Madonna durfte sich mal wieder einiges anhören, als ihr Designerbruder Christopher Ciccone ihr Haus am Mullholland Drive gestreift anmalen ließ – wahrscheinlich auch, um einen der Vorbesitzer zu überschreiben: den brutalen Mobster Bugsy Siegel. Der Streifen als friedvolles Camouflage.
Jedenfalls änderte sich der Sonderstatuts des Gestreiftseins wohl erst mit der Französischen Revolution, er kam in Mode, der neue Bürger in gestreifter Garderobe stieg auf die Barrikaden und rief „Liberté, Égalité, Streifen!“ Welche Richtung nahm der Streifen in der Folge? Vertikale Streifen, diese aufrechten Bürger der Raumillusion, spielen mit den Nerven der Architektur, als ob sie die persönlichen Fitnesstrainer für jeden Raum wären. Aktiv, bewegt, breiter, höher. Zwischen einem und dem nächsten Streifen dehnt sich der Raum. Dagegen bringen horizontale Streifen Bequemlichkeit und Intimität. Der Raum flüstert dem Betrachtenden zu:, „Setz Dich hin, wir sind hier und gehen nicht weg.“ Horizontale Streifen, der Sessel unter den Raumillusionisten.
Der amerikanische König des Streifen ist der Interiordesigner Mark D. Sikes. Dürfen wir sagen: Wie wir schwärmt auch er von Karl Friedrich Schinkels legendärem Zeltzimmer im Schloss Charlottenhof in Potsdam? Die elegant-einfache Verwirrungskraft der Streifen zeigt auch hier ihre Wirkung, „Alles ist in demselben Streifen gehalten, und diese zeltartigen Stoffapplikationen haben etwas an sich, das wir auch heute noch gerne in Innenräumen verwenden“, sagt Sikes. „Es fühlt sich weich, romantisch und vom Rest des Hauses abgeschirmt an.“ Stimmt alles, bis auf die Stoffaplikationen, die keine sind – Zeltwände, Decke und Posamenten sind in diesem Dekorationsmeisterwerk aufgemalt und gedruckt.
Überhaupt lassen sich Streifen nicht nur tapezieren, sondern vorzüglich an die Wand malen. Ungenauigkeiten machen das Muster organischer. Die Berliner Bar Green Door ist dafür ein schönes Beispiel. 1995 entwickelte der Künstler Thomas Hauser eine Wanddekoration, die aussieht wie eine Tapete, aber tatsächlich aus (eben nur fast) präzisen Pinselstrichen besteht. Ausgeführt wurden die Malerei damals von Hausers Mitbewohnerin Friederike Feldmann, heute eine der tollsten deutschen Malerinnen. Dass diese Geschichte zumindest in Bezug auf Streifen etwa so viel Wahrheitsgehalt wie die Teufelsgeschichte oben hat, sei uns verziehen, denn das große Karomuster an den Wänden der Bar setzt sich ja doch aus Streifen zusammen (was das wohl für die Wirkung bedeutet, wenn vertikal und horizontal gemischt werden?). Ein anderer Münchhausen der Dekoration ist Rafael „Möbel“ Horzon, der seit Jahrzehnten überaus erfolgreich aus einer kleinen Manufaktur in der Berliner Torstraße heraus seine stets ähnlichen, sich aber nie gleichenden, immer überraschenden „Wanddekorationsobjekte“ in die ganze Welt vertreibt. In Frankfurt zieren seit September dieses Jahres sechzehn seriengefertigte gestreifte Unikate die Lobby des Fleming Hotels.
Und dann gibt es da noch das Zebra, dieses schwarz-weiße Kunstwerk der Natur. Europa sieht dessen Fell als schwarz gestreift, während Afrika, das zugegebenermaßen in dieser Wette den Heimvorteil hat, behauptet, es sei weiß gestreift. Eine echte diplomatische Krise in der Tierwelt, aber wen kümmert das schon? Die Zebras sind zu sehr mit Tarnung und Wegrennen beschäftigt, um gestreifte Existenzkrisen zu durchleben. Tun wir es ihnen gleich – bei der Tarnung unserer Räume versteht sich, nicht beim Wegrennen.