Für viele ist das Telefon mittlerweile ein Relikt vergangener Tage, doch als Deko-Element kann das Handy dem Festnetztelefon noch nicht das Wasser reichen. Unsere Stilkolumne gibt Tipps für ein kunstvolles Heim. Folge 26: Telefone als Einrichtungsobjekt
ShareWer seine Telefonnummer für Whatsapp-Gruppen freigegeben hat, kann sich bei all den Nachrichten und Sprachmitteilungen mitunter nur schlecht daran erinnern, wofür so eine Telefonnummer einmal gut war: nämlich angerufen zu werden. Was alles in einem Telefonat zu klären ist – toll! Wie Missverständnisse unmittelbar aus dem Weg geräumt werden können oder Wut trotz großer räumlicher Entfernung direkt ausgeteilt werden kann – großartig! Wie man sich durch eine Handbewegung aus der Affäre ziehen kann, ohne unmittelbare räumliche oder körperliche Konsequenzen fürchten zu müssen – beruhigend!
Die Bezeichnung Handbewegung benutzen wir hier absichtlich, auch wenn es am Mobiltelefon eher eine Fingerbewegung ist. Denn in dieser Woche soll es uns um das echte Telefon gehen – mit Hörer, Tasten oder Wählscheibe und gegebenenfalls einer Strippe („Schatz! Ich habe hier die Telekom an der Strippe, die wollen uns ein Internet verkaufen!“). Wie triumphierend, wütend oder gefühlvoll lässt sich der Hörer auflegen. Man kann ihn locker auf die Gabel gleiten lassen, ihn darauf schmeißen, ihn noch eine Weile träumend festhalten oder einfach neben das Telefon legen. Wie im Film. Veruchen Sie mal, triumphierend auf die Tasten oder den Touchscreen Ihres Mobiltelefons …
Sprachnachrichten gibt es übrigens auch schon länger. Man sprach sie früher auf den Anrufbeantworter, jedoch mit dem erheblichen Unterschied, dass die Person am empfangenden Ende unbemerkt live zuhören konnte – und die Möglichkeit hatte, sich nach Belieben doch als aktiver Teilnehmer des Gesprächs einzuklinken. „Sex And The City“ erzählte ganze Beziehungszustände mit Hilfe dieser technischen Kleinigkeit.
Das 807 Seiten dicke Buch „The Andy Warhol Diaries“ ist ein Kondensat seines 20.000 Seiten starken Tagebuchs, welches er über elf Jahre bis fünf Tage vor seinem Tod führte. Aufgeschrieben hat es allerdings Pat Hackett. Andy Warhol rief sie montags bis freitags gegen 9 Uhr an, um von den Geschehnissen des Vortags zu berichten. Seine Mitarbeiterin notierte. Wirklich geplaudert hat Warhol nur am Telefon, eben entweder mit Hackett oder Brigid Berlin (der Titel seiner „Philosophy from A to B and back again“ beruht wohl auf der stehenden Leitung zu Brigid). Auch als Motiv taucht das Telefon in Warhols Bildern immer wieder auf, entweder als Apparat oder in den Porträts als Trick, die Hände der Sujets im Bild zu haben. Für ihn war ein gutes Porträt eines, in dem die Hände der Porträtierten komponiert waren. Also ließ er zum Beispiel Helmut Berger nackt telefonieren, mit einer oder beiden Händen die Ohrmuscheln umschließend. Der Apparat war so aber auch eine Spur von Raum in diesen Bildern, die ansonsten gänzlich ohne Umgebung oder Einrichtung auskommen mussten.
Edward James erkannte das Telefon ebenfalls nicht nur als Nutzgerät, sonder als Einrichtungsgegenstand und ließ sich von seinem Protegé Salvador Dalí Ende der 1930 elf „Hummer-Telefone“ für seine Häuser in London und Sussex entwerfen. Gefertigt wurden die sieben weißen und vier roten Fernsprecher von der Londoner Interior-Firma Green & Abbott. Das zeigt die Ernsthafitgkeit, mit welcher der für Dalí so sexuell aufgeladene Hummer und dessen Telefon als surreales Dekorationsobjekt verstanden waren.
Ein ordentliches Hotel, genauso wie ein anständiges Büro oder Zuhause, hat immer ein kleines Blöckchen neben dem Telefon liegen. Und sei es nur, um darauf „Telephone Doodles“ festuzuhalten: die Art von Kunstwerken, die aus dem Unterbewussten wie von allein auf das Blatt finden. So lässt sich nach dem Telefonat plötzlich herausfinden, dass man vielleicht für seinen Mitarbeiter schwärmt, weil sich wie von Geisterhand der Name mit hundert kleinen Herzen auf dem Blatt wiederfindet. Wer ganze Ausstellungen mit solchen freien Kritzeleien füllte, war Jean Dubuffet. Heute ist es Edi Rama, ein albanischer Künstler und nebenbei Ministerpräsident seines Landes. Er verbindet so seinen Job mit seiner Berufung. Wie viele Telefonate an einem echten Tischtelefon dieser Mann wohl führt, wie viele Stunden er so zum Zeichnen verwenden kann?
Der große Vor- und Nachteil am nichtmobilen Telefon war, dass der Angerufene oder der Anrufer wusste, wo der Gesprächspartner ist: im Büro, im Hotel, im Auto (!) oder eben zu Hause. Das Festnetztelefon mit Strippe war in jedem Haushalt ein Einrichtungsgegenstand, der gern weitere Einrichtungsgegenstände bedingte oder begleitete: bei Kurzangebundenen stand es auf einer Konsole im Flur; in Seniorenhaushalten bei einem Stühlchen oder Höckerchen; bei Redseligen neben einem Sessel; bei Spätaufstehern, Teenagern oder anderen Romantikern neben dem Bett; in College- und Slasher-Filmen hing es als Zweittelefon in der Küche neben dem Kühlschrank.
Schöne Telefone gibt es. Eine unserer Großmütter, schwerhörig, aber in Einrichtungsfragen ganz und gar nicht schwer von Kapee, hatte bis zuletzt ein schwarzes Bakelit-Telefon. So laut, dass eine Freisprechfunktion unnötig war, aber auch so schön, dass es eine Zier war. Der ganze Tisch, auf dem es stand, hatte die Aura der Welt da draußen. Dieser Ausdruck von Weltläufigkeit muss auch Robert Evans, den legendären Hollywood-Produzenten, dazu gebracht haben, sich kaum ohne Telefon in der Hand fotografieren zu lassen. Kaum kann man die Welt beiläufiger und glamouröser sein eigen nennen, als mit einem Strippentelefon auf dem Fußboden neben dem Bett, in dem man liegt und von dem man um halb elf Uhr morgens geweckt wird, weil Faye Dunaway anruft.
„Ein übernatürliches Instrument, dessen Wunderwirkung man ehemals bestaunte und das man heute ganz gedankenlos gebraucht, um seinen Schneider zu beordern oder Eis zu bestellen“, so sah Marcel Proust um 1920 das Telefon. Wir sind dafür, dass man es in seiner traditionellen Form auf dem Tisch, neben dem Bett, auf dem Boden stehen hat. Nur so als Möglichkeit. Um dort vielleicht angerufen zu werden, wo man gerade ist – oder nicht. So dass man in der Fantasie des Anrufenden ein Bild ergibt:
„[I]hre Stimme war ganz wie die, die angeblich das Bildtelefon der Zukunft verwirklichen soll: im Klang zeichnete sich deutlich die visuelle Erscheinung ab[.]“ Das Zitat ist auch von Proust, ziemlich vor 1920.
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