Während einer Lesung mit Texten der vor den Nazis geflüchteten Hannah Arendt stören Demonstranten die Performance. Nach Hasstiraden ziehen die Verantwortlichen Konsequenzen
Von
12.02.2024
Nach propalästinensischen Protesten ist die Lesung einer umfassenden Analyse totalitärer Strukturen der Publizistin Hannah Arendt (1906-1975) am Sonntag im Berliner Museum für zeitgenössische Kunst Hamburger Bahnhof – Nationalgalerie der Gegenwart abgebrochen worden.
Nach Schilderung der beiden Museumsdirektoren Sam Bardaouil und Till Fellrath war die 100-stündige Performance „Where Your Ideas Become Civic Actions (100 Hours Reading „The Origins of Totalitarianism“)“ der kubanischen Künstlerin Tania Brugueras am Samstag zweimal von einer Gruppe politischer Aktivisten gestört worden.
Zunächst seien am Nachmittag Hassreden gehalten worden. Beim zweiten Vorfall am Abend kehrten die rund 20 Personen den Angaben zufolge zurück und beleidigten einen der Vorleser und einen der Museumsdirektoren mit gewalttätigen Hasstiraden. Unter diesen Umständen sei der offene Dialog, der mit dieser Performance beabsichtigt gewesen sei, nicht mehr möglich, so die Direktoren. Am Sonntagmorgen beschloss die Künstlerin, die Performance zu beenden, um sich gegen Hassreden und jede Form von Gewalt zu wehren.
„Wir respektieren und stehen voll und ganz hinter der Entscheidung der Künstlerin und lehnen jede Form von Hassrede und Gewalt kategorisch ab“, so Bardaouil und Fellrath auf ihren Instagram-Kanälen. Der Schritt sei notwendig gewesen, um die Sicherheit der Teilnehmer der Performance zu schützen.
Kulturstaatsministerin Claudia Roth verurteilte die Attacke. «Hass, Antisemitismus, Rassismus und solche Formen von Gewalt sind absolut inakzeptabel und haben im Raum der Kunst und auch überall sonst nichts zu suchen», sagte die Grünen-Politikerin in einer Reaktion. „Dieser üble Antisemitismus und Rassismus richtete sich offenkundig auch noch direkt gegen eine jüdische Kulturschaffende, die kubanische Künstlerin sowie einen Leiter des Hamburger Bahnhofs.“ Roth begrüßte rechtsstaatliche Konsequenzen für die Urheber. Zuvor war nach Polizeiangaben vom Sonntag eine Anzeige eingegangen.
Hermann Parzinger, Präsident der für die Museen zuständigen Stiftung Preußischer Kulturbesitz, sagte, es sei „unerträglich, zu welchen antisemitischen Provokationen, rassistischen Beleidigungen und persönlichen Angriffen“ es gekommen sei. „Das Ausmaß ist ungeheuerlich.“ Er sprach von einer „Demonstration puren Hasses“. Gleichzeitig betonte Parzinger: „Wir lassen uns nicht einschüchtern. Museen sind offene Orte der Toleranz und stellen sich gegen jede Form von Hass, Rassismus und Antisemitismus.“
Bruguera musste die Performance 2015 zu Hause unter Arrest realisieren. Mit der Aufführung in Berlin wollte sie „die Kraft von Kunst und Aktivismus zeigen“.
Die Jüdin Arendt musste 1933 selbst aus Nazi-Deutschland emigrieren. Sie schrieb ihre Analyse über Ursprünge und Entwicklung des Nationalsozialismus kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs und der Befreiung Deutschlands. Wenige Jahre später ergänzte sie das Werk mit den Besonderheiten des Stalinismus. (dpa)