Der Wiederaufbau des Schlosses ist fast vollbracht. Nun wurden die Fresken des Altans rekonstruiert, die einst als sächsisches Weltwunder galten. Ihre Bilder offenbaren Machtspiele des 16. Jahrhunderts
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21.05.2024
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Erschienen in
Weltkunst Nr. 226
Der große Schlosshof der Residenz in Dresden, die dreigeschossige Loggia, auch Altan genannt, die an der Nordseite so hoch aufragt wie ein fünfstöckiges Mietshaus – und es treten auf: Saulus, der von göttlichem Licht geblendet zu Boden geht, um als Paulus wieder aufzustehen; Caspar, Melchior und Balthasar, die Weisen aus dem Morgenland, die dem Jesuskind ihre Aufwartung (und Geschenke) machen; schließlich, von weit hergereist, die Königin Saba vor König Salomon – auch sie hat Geschenke dabei, „hundertzwanzig Zentner Gold und sehr viel Spezerei und Edelsteine“, wie es im Alten Testament heißt.
Wer diese Zusammenkunft in den monumentalen Renaissancefresken an der Fassade und Rückseite des Altans für einen Zufall hält, hat nicht auf der Rechnung, dass hier außer den Figuren aus dem Alten und Neuen Testament noch mehr Gestalten anwesend sind, auch wenn man sie nicht sehen kann. Da wäre Moritz, der erste Kurfürst Sachsens, ein Feldherr, Taktierer und politischer Spieler vor dem Herrn, der – Protestant wie sein Vater Heinrich – im Alter von nur 32 Jahren starb. An einer Verletzung, wie es hieß, die er sich in der Schlacht bei Sievershausen in Niedersachsen zugezogen hatte, als er seine Soldaten gegen einen seiner vielen ehemaligen Verbündeten, Albrecht Alcibiades, den Markgrafen von Brandenburg-Kulmbach, kämpfen ließ. Angeblich traf ihn eine Kugel in den Unterleib, für sich noch keine tödliche Verletzung. Zwei Tage später aber tat Moritz seinen letzten Atemzug, und das Gerücht machte die Runde, jemand habe da wohl etwas nachgeholfen.
Gründe hätte es genug gegeben: Moritz, der „sächsische Judas“, hatte bis kurz zuvor noch auf der Seite des katholischen Kaisers Karl V. gestanden, bis er sich in einer spektakulären Wendung eines anderen beziehungsweise seines Protestantentums besann – was ihm etliche Grafen, Herzöge, Kurfürsten, Mitglieder seiner weitverzweigten Familie, sehr übel nahmen. Dann wäre da auch noch August, Moritz’ Bruder, dem ein fast doppelt so langes Leben beschieden war. Und schließlich natürlich die Berater, hochmögende Gelehrte, die imstande waren, dieses komplizierte Bildprogramm zu entwerfen, das, so komplex es ist, nur einen Zweck hatte: die Macht und die politischen Winkelzüge der sächsischen Kurfürsten zu legitimieren.
Wenn man Kennern der Materie wie dem Projektleiter und Architekten Holger Krause oder dem Restaurator Matthias Zahn zuhört, kann einem schon etwas schwindelig werden, bei all den Dingen, auf die es bei der Rekonstruktion dieser Fresken ankam. Ideengeschichtlich und auch faktisch gibt es im zuerst geteilten und dann vereinten Deutschland der letzten knapp achtzig Jahre nur wenige Unterfangen, die ähnlich anspruchsvoll, ähnlich gewagt sind. Das Dresdner Residenzschloss, eines der herausragenden Bauwerke der Renaissance nördlich der Alpen, war 1945 eine Ruine. Aber eine, die schon bald wieder zu neuem Leben erwachte – nicht nur weil manche Dresdnerinnen und Dresdner dort die ein oder andere brauchbare Barockkonsole finden konnten, um sie in unbeobachteten Momenten nach Hause zu tragen.
Ins Grüne Gewölbe zog schon kurz nach Kriegsende wieder der sächsische Hofschatz ein. „Wir fanden bei unseren Recherchen Aufstellungen zu den benötigten Materialien und den Kosten, die anfallen würden, wenn man das Schloss restaurieren wollte“, sagt Matthias Zahn, der nicht nur Restaurator, sondern auch Bauforscher und studierter Bauingenieur ist. „Diese Listen stammen vom Juli 1945, solche Bestrebungen gab es also sehr rasch.“
Dass dennoch 79 Jahre vergingen, bis die Bemühungen um die schwarz verrußte, bis auf die Außenmauern niedergebrannte Residenz mit der Fertigstellung der Fresken an der Rückseite des Altans im großen Schlosshof ein glückliches vorläufiges Ende fanden, gehört zu den spannendsten Geschichten, die das gesamtdeutsche kulturelle Erbe zu bieten hat. Und es ist auch eine Geschichte von Risikobereitschaft, Entschlossenheit, von der Gefahr zu scheitern, dem Lernen aus Fehlern und von über Jahrzehnte erlangter Expertise. Die, die sich nicht mehr daran erinnern, wie es hier einmal ausgesehen hat, denen helfen Fotos. Sie bezeugen mit erschütternder Deutlichkeit: Von den Malereien, die man am Altan jetzt zu sehen bekommt, war noch im Jahr 2016 nichts zu erkennen. Aber auf den Schreibtischen und in den Werkstätten von Holger Krause, Matthias Zahn und deren Dutzenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hatten sie damals bereits Gestalt angenommen.