Dass der Erfinder des Ready-mades auch ein Jahrhundert später noch die Kunstwelt beeinflusst, zeigt Thomas Girst in seiner neuen Weltkunst-Kolumne. In Folge 2 geht es um Marcel Duchamp und den Kunstmarkt
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30.05.2024
Das Centre Pompidou eröffnete 1977 mit einer wegweisenden Ausstellung über Marcel Duchamp. Wenn man die letzte der roten Rolltreppen des ikonischen Baus von Renzo Piano hinaufgefahren ist, findet man dort, ganz oben, das Restaurant Georges mit Rundumblick auf Paris. In diesem verriet mir kürzlich Laurent le Bon, Präsident des Museums und Dada-Spezialist, dass er zum 50-jährigen Jubiläum seiner Institution eine große Retrospektive des Künstlers plane. Schließlich richtet das Pompidou mit dem Prix Marcel Duchamp schon seit 2000 den wichtigsten Preis für zeitgenössische französische oder in Frankreich lebende Künstlerinnen und Künstler aus. Vielleicht schämt man sich ein wenig. Denn zu Lebzeiten Duchamps kümmerte sich niemand (außer ihm selbst) so recht um die museale Präsentation seiner Arbeiten, schon gar nicht sein Heimatland. Erst fünf Jahre vor seinem Tod zeigte das kleine Pasadena Art Museum bei Los Angeles 1963 eine umfangreiche Werkschau, 1966 folgte die Tate Gallery, da war der Künstler bereits Ende 70.
Was immer Le Bon zum Jubiläum seines Hauses plant, im Pompidou selbst wird die Duchamp-Ausstellung nicht stattfinden können. Das Museum wird nach den Olympischen Spielen diesen Sommer für fünf Jahre schließen. Die Filetstücke der Sammlung werden dann vorübergehend im Grand Palais gezeigt. Über 300 Millionen Euro soll währenddessen die aufwändige Rundumsanierung kosten. Die Preise explodieren schon jetzt. Aber über Kunst und Geld spricht man bekanntlich nicht so gern. Hier nicht und generell nicht. Auch bei Duchamp nicht. Dabei wäre die aktuelle, von Ariane Coulandre für das Pompidou kuratierte Retrospektive seines engen Künstlerfreundes Constantin Brancusi durchaus Anlass dafür, über den Themenkomplex Duchamp und das Geld zu sprechen. Schon Radu Varia schreibt in seiner großen Brancusi-Biographie eher abfällig von Duchamp als jemandem, der zwar behaupte, Kunst habe keine Bedeutung mehr, seinen Lebensunterhalt aber gleichwohl durch den Verkauf der Skulpturen Brancusis querfinanzierte. Und selbst wenn. Wer in den Zwanziger- oder Dreißigerjahren in New Yorker Galerien durch Duchamps Vermittlung Skulpturen von Brancusi erwarb, hat ein gutes Geschäft gemacht. Brancusis „L’oiseau d’or“ ging 1927 für 1,200 Dollar an den Arts Club von Chicago, eine vergleichbare Skulptur, „La jeune fille sophistiquée“ (1932), erzielte bei Christie’s 2018 einen Auktionsrekord von 71 Millionen Dollar. Selbst inflationsbereinigt entspricht das noch immer einer Wertsteigerung von satten 3400 Prozent.
Aber wie hielt es Duchamp denn nun wirklich mit dem Kunstmarkt? Was seine eigenen Werke anbelangte, war seine Strategie eindeutig: Verkauf an nur eine Handvoll Sammler, die er in den Fünfzigerjahren bat, seine Arbeiten an das Philadelphia Museum of Art zu geben. „Mein Ertrag ist so gering, man sollte nicht auf ihn spekulieren, ihn von Sammlung zu Sammlung wandern lassen und verstreuen“, schrieb er 1937 an seinen Künstlerfreund Walter Pach. So wie sein Multiple, die „Schachtel im Koffer“, schon ab 1935 Miniaturen und Reproduktionen seiner Gemälde, Arbeiten auf Glas und Readymades beherbergt, so finden sich alle seine Hauptwerke heute in einem einzigen Museum. Wenn er eigene Arbeiten oder jene seiner Freunde verkaufte, dann um sich und sie zu unterstützen. „Man muss leben können“ vertraute er in einem späten Interview Pierre Cabanne an. Seine Haltung gegenüber dem Kunstmarkt veränderte sich dadurch nicht: „So viele Händler und Sammler und Kritiker, die nur Läuse auf dem Rücken der Künstler sind“ ist ein oft zitierter Satz von ihm. Jungen Künstlern riet er, jegliche Kommerzialisierung zu meiden und führte ebendiese als Grund an, sich selbst ganz und gar von der Malerei verabschiedet zu haben: „Ich mag die Mischung aus Geld und Kunst nicht. Ich mag keinen Wasser im Wein”. Schon in den Sechzigerjahren sprach er von „Quick Art“, wenn es anstatt um Erkenntnisgewinn einzig um die schnelle Produktion von Kunst aus Verkaufsgründen ging.
Und was hätte Duchamp heute zum 65 Millarden Dollar starken weltweiten Kunstmarkt gesagt? Soviel Freude er am Wortspiel und den Nuancierungen der Sprache hatte, so sehr hätte er sich womöglich amüsiert. Denn ob eine Senior Direktorin von Lehmann Maupin auf der Frieze in Los Angeles Ende Februar erklärt, dass eine herrliche Arbeit von Billie Zangewa leider Gottes bereits verkauft sei, oder ein Mitarbeiter von Stevenson zwei Monate später auf der Frieze in New York raunend bedauert, dass ein Gemälde von Thenjiwe Niki Nkosi nicht mehr erhältlich ist – keiner nimmt das Wort „sold“ tatsächlich in den Mund. Allüberall wird jedweder Handel mit dem Euphemismus „placed“ umschrieben. „This work is already placed“, also vermutlich gut untergebracht in einem Museum, platziert in einer bedeutenden Sammlung. Wo die Kaufkraft der Superreichen global auf Kunstmessen zugreift, da soll es schließlich um Substanz, Inhalt und Leidenschaft gehen – da verschweigt man im Unterschied zu den marktschreierischen Auktionen lieber verschämt die monetäre Transaktion, so gut es irgend geht. Vielleicht sammelt man ja sowieso das komplett Falsche, vor allem dann, wenn die Wertsteigerung primärer Kaufgrund ist. Was sagte doch Duchamp Ende 1912 auf der Pariser Luftfahrtschau im Grand Palais zu seinem Freund Brancusi: „Kunst ist durch. Wer wird jemals etwas Großartigeres erschaffen als diesen Propeller?“
Hier gehts zur ersten Kolumne.
Thomas Girst war Gründungsredakteur von „Tout Fait: The Marcel Duchamp Studies Online Journal“ (1999-2003) und Ko-Kurator der Ausstellung „Marcel Duchamp in München 1912“ im Lenbachhaus 2012. Er ist Autor von „The Duchamp Dictionary” (2014) sowie zahlreicher Publikationen über den Künstler.