Anne Wundrak

„Ich bin glücklich, dass ich das lernen durfte“

Die Bildhauerin und Dichterin Anne Wundrak war zehn Jahre lang Kantinenfrau in der Berliner Volksbühne. Ein Gespräch über Holzspielzeug, umfallende Pferde und das Gefühl dazuzugehören

Von Catherine Peter
30.07.2024

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Spielzeug zu bauen?

Ich wollte wieder schnitzen. Und dann ist mir in der Bibliothek ein Buch über Holzspielzeug in die Hände gefallen. Die abgebildeten Figuren hatten eine ganz besondere Lebendigkeit. Ich hatte das Gefühl, dass ich sie schon alleine beim Anschauen nicht als leblos empfinde. Das passiert mir nicht, wenn ich eine Barbie-Puppe sehe. In dem Buch waren ganz viele Spielzeuge, die Bauern für ihre Kinder gemacht haben. Das heißt ja, dass sich zu Hause jemand mit einem Stück Holz und Werkzeug hingesetzt hat und es geschnitzt hat. Es ist eine reizvolle Vorstellung, eine Skulptur zu formen, und der ästhetische Rahmen ist schon da, das Haus etwa oder die Umwelt. In dem Buch habe ich eine Formensprache entdeckt, die mich anspricht, in deren Tradition ich gerne weiterarbeite.

Ihre Skulpturen sind ja zum Teil formal sehr reduziert.

Drei, vier Ausgangsformen zu finden und es dann schaffen, dass diese Formen zusammen eine Figur werden, das ist es, was mich anzieht. Und ich frage mich, möchte ich damit spielen? Ich denke ja, je einfacher ein Spielzeug ist, desto größer ist die Fantasie, mit der es bewegt wird.

Im fünften Bezirk in Wien gibt es eine Vitrine mit Ihren Holzfiguren. Dort ist mir vor allem das liegende Pferd aufgefallen.

Ja. Ich entwickle so ein Holzpferd schon über eine lange Zeit und habe dabei schon ziemlich viele Späne verursacht. Dazu muss ich sagen, dass ich in meinen Prozessen recht langsam bin. Es passiert viel auf der Strecke. Am Anfang hatte ich eine Skizze mit vier in einer Reihe stehenden Beinen. Die habe ich genauso umgesetzt, und als ich es dann aufstellen wollte, ist es natürlich umgefallen. Ich musste über mich selbst lachen. Ist aber auch eine schöne Metapher dafür, dass jedes Medium seine eigenen Grenzen hat. Zurzeit bin ich an einem rollenden Pferd dran, aber mit dem Kopf nach hinten gewandt, ein Rückwärtsbekenntnis“ sozusagen. Ich weiß nicht, ob das Kindern überhaupt gefallen würde, ich möchte es aber gerne ausprobieren.

In der Langen Gasse in Wien, die Vitrine mit Anne Wundraks Spielzeug
In der Langen Gasse in Wien gibt es eine Vitrine mit Anne Wundraks Spielzeug. © Catherine Peter

Wussten Sie schon früh, dass Sie mit Holz arbeiten wollen?

In meiner Kindheit habe ich eher gezeichnet. Nach dem Abitur habe ich mich dann erst für Restaurierung interessiert und bin darüber auf den Beruf des Holzbildhauens gestoßen. 1999 bin ich dann von Berlin nach München gegangen, an die Berufsfachschule für das Holzbildhauerhandwerk. Ich bin immer noch sehr glücklich, dass ich das lernen durfte. Auch wenn ich mich vielleicht nicht besonders gut angestellt habe, war ich fasziniert von dem Handwerk. Mir hat immer gefallen, wie das funktioniert, der Rhythmus, das Geräusch.

Wie kann man sich solch eine Ausbildung vorstellen?

Während der Lehre haben wir hauptsächlich kopiert. Wir sind viel durch Kirchen gegangen oder durch das Bayerische Nationalmuseum und haben uns mittelalterliche Skulpturen angeschaut. Und die Klassen waren klein, 10 bis 15 Leute, ein ganz lustiger Haufen.

Und danach ging es nach Wien an die Universität für angewandte Kunst?

Ja, in die Bildhauerklasse von Gerda Fassel. Das war ganz klassisch, mit Aktzeichnen und Gips und Ton, um zu modellieren. Es gab großes Erstaunen, dass es überhaupt noch so eine Klasse gibt. Aber solche Dinge habe ich noch nie verstanden, warum irgendwas vorbei sein sollte. Aus Sicht der Kunstszene, dass es da eine bestimmte Entwicklung gibt, vielleicht, aber aus Sicht der Kunst, als sinnliche Beschäftigung mit sinnlichen Fragen? Insofern war die Klasse ein bisschen in der Verteidigungshaltung, würde ich sagen.

Die Bildhauerin und Dichterin Anne Wundrak im Treptower Park in Berlin, April 2024
Die Bildhauerin und Dichterin Anne Wundrak im Treptower Park in Berlin, April 2024. © Catherine Peter

Wie waren diese Jahre für Sie?

Das war eine schwierige Zeit für mich. Ich hatte nichts zu sagen. Ich hatte null Motive, ich wusste nicht, was Kunst sein soll. Ich war leider auch nicht in der Klasse, die mich angestupst hätte, um es spielerischer zu sehen. Nach zwei Jahren hatte ich ein Aha-Erlebnis. Ich hatte Bernhard kennengelernt, beim Aktzeichnen. Das war sehr komfortabel, weil wir meistens nur zu zweit waren und die Modellstehenden von überall aus im Raum betrachten konnten. Bernhard war in der Grafikklasse. Eines Tages hat er mir seine Zeichnungen gezeigt. Die Zeichnungen waren so frei, und ich dachte nur: stimmt, es gibt keine falsche oder richtige Zeichnung! Danach war ich wie geheilt und hatte eine Schranke weniger im Kopf.

Nach dem Studium sind Sie zurück nach Berlin und haben in den vergangenen zehn Jahren in der Kantine der Volksbühne gearbeitet. Wie kam das denn?

Ich brauchte Geld, also einen Job. Dabei war es für mich wichtig, etwas zu finden, wo ich arbeiten kann und nicht das Gefühl habe, dass es sinnlos ist. Dann hat sich das Ganze entwickelt, ich habe Selbstbewusstsein entwickelt. Ich habe in der Volksbühne eine schöne Form der Toleranz gefunden, also die echte sozusagen, die durch die Auseinandersetzung miteinander gewonnene und nicht moralisch eingeforderte. In den letzten Castorf-Jahren war die Kantine täglich voll. Und wenn jetzt nicht Premiere war, waren wir alleine in der Spätschicht. Wenn fünfzig Leute auf einmal reinkommen: dreißig davon wollen essen, zwanzig davon wollen trinken, und irgendwer will nur irgendwas. Das kann schiefgehen.

Drei Figuren © Anne Wundrak
Drei Figuren der Berliner Bildhauerin. © Anne Wundrak

Haben Sie in dieser Zeit auch angefangen zu schreiben?

Worte mochte ich schon immer. Als Jugendliche bis so Anfang zwanzig habe ich einige Gedichte geschrieben. Das ist mir damals leicht gefallen, so leicht, dass ich dachte, das ist doch keine Arbeit. Und ich habe aufgehört. Aber wahrscheinlich hatte ich einfach nur nichts mitzuteilen. In der Kantine, als ich dann so ein gutes Leben hatte, ist es wieder losgegangen. Und auf einmal war es auch Arbeit, zu dichten. Ab und zu rollt sich auch etwas von selbst aus. Und dann sind da noch die ganz kurzen, die mir einfach einfallen: Tipi oder Bunker/Tipi.

Aber die Arbeit in der Kantine hat ein Ende genommen, nicht wahr?

Ja, erst vor Kurzem bin ich zur Bühnentechnik gewechselt und baue jetzt die Bühnenbilder auf und ab. Das ist eine ganz neue Erfahrung.  Jetzt bin ich Teil der Gewerke, die direkt am Stück beteiligt sind. Am Anfang war es hart, na ja, unangenehm. Ich war recht verunsichert und habe nicht mitgedacht. Das kommt jetzt langsam wieder, die Selbstständigkeit.

Wie sehr hängen Sie am Theater?

Es ist weniger das Theater und mehr die Volksbühne oder eben ein Ort, wo ich das Gefühl habe, dazuzugehören. Ich bin da eine Bindung eingegangen. Im Augenblick weiß ich nicht, wo die Reise hingeht. Alle meine Interessen unter einen Hut zu bekommen ist eine ganz schöne Herausforderung!

Service

Zur Website der Künstlerin

https://annewundrak.jimdofree.com/

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