In den einstigen Domizilen von Rodin, Valadon, Brâncuşi und Co. kommt man deren Schaffen persönlich auf die Spur. Ein Streifzug durch die Künstlerhäuser von Paris
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17.07.2024
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Erschienen in
Weltkunst Nr. 229
Wie wichtig die Biografie für das Verständnis eines Kunstwerks ist, darüber lässt sich streiten. Doch auf jeden Fall kommt man den Kunstschaffenden ganz besonders nah, wenn man sich in den Räumen bewegt, in denen sie einst lebten, vor den Staffeleien steht, an denen sie die Pinsel schwangen, oder den Blick aus ihren Fenstern wirft wie einst sie selbst. Die Künstlerstadt Paris bietet diese Gelegenheiten wie kein anderer Ort der Welt. Manche der Wohnhäuser und Ateliers zeigen, mit welcher Bescheidenheit Kreative, die heute einen großen Namen haben, einst zurechtkommen mussten. Andere bezeugen den grandiosen Lebenswandel arrivierter Künstlerfürsten. Während einige der Räumlichkeiten sympathisch verschlafen wirken, gibt es daneben höchst aktive Institutionen, die regelmäßig Wechselausstellungen präsentieren.
Zu ihnen zählt das charmante Musée de la Vie romantique in Montmartre, das mit einem Garten ausgestattete Wohnhaus des Malers Ary Scheffer. Hier gilt bis 15. September seinem früh verstorbenen Zeitgenossen Théodore Géricault eine Schau, die den Fokus auf die Pferde als Motiv in seinem Œuvre lenkt. Zu besichtigen sind auch das Studio und die Wohnung, die Eugène Delacroix 1857 bezog, um näher an der Kirche Saint-Sulpice zu wohnen, wo er mit der Ausstattung einer Kapelle beauftragt war. Das Museum ist mit seinem Garten wie eine Oase. Anfang Juli hat hier eine Schau eröffnet, die das Thema von Kleidung und Nacktheit in Delacroix’ Kunst untersucht („Nu comme habillé“, bis 3. Februar 2025). Ein weiterer Maler des 19. Jahrhunderts, dessen großartiges Atelier zum Museum wurde, ist der Symbolist Gustave Moreau.
Als Sammler, Schriftsteller, Künstler und sogar Interior-Designer ist Victor Hugo in seiner äußerst sehenswerten Maison direkt an der Place des Vosges zu erleben. Erstaunliche 50.000 Objekte von Büchern, Manuskripten, Fotografien, Zeichnungen und Grafiken bis zu Porzellan, Möbeln und Skulpturen lassen ihn hier lebendig werden. Dem Impressionismus und Post-Impressionismus kommt man im Musée de Montmartre auf die Spur, wo etwa Auguste Renoir sein Atelier hatte. Aktuell läuft eine Ausstellung zu Auguste Herbin. Das Loft von Suzanne Valadon, die für Renoir und viele andere Modell saß, bevor sie selbst eine bedeutende Malerin wurde, ist an derselben Adresse liebevoll rekonstruiert. Wahrscheinlich krabbelte ihr Sohn Maurice Utrillo als Kleinkind neben der Staffelei herum, bevor er später selbst zum Künstler wurde.
Besonders viele Ateliers von Bildhauern und auch ein paar Bildhauerinnen sind öffentlich zugänglich, vom berühmten Aristide Maillol bis zu Ossip Zadkine, der von Vitebsk nach Paris kam, und der bemerkenswerten, in der Ukraine geborenen Künstlerin Chana Orloff (1888–1968). Ganze Generationen von Bildhauern lassen sich in den eigenen vier Wänden besuchen. So etwa Rodin, dessen Schüler Bourdelle und wiederum dessen Schüler Giacometti. Der übermächtigen Kunst von Rodin sind in Paris sogar zwei Museen gewidmet, eines am Invalidendom, das andere in Meudon, wo er im parkähnlichen Garten seine letzte Ruhe fand. Die Skulptur des „Denkers“ bewacht sein Grab. Auch Antoine Bourdelle, einer der Wegbereiter des Art déco, bewohnte fast fünfzig Jahre lang bis zu seinem Tod 1929 ein stimmungsvolles Haus mit Atelier und Garten. Nirgends kann man so viele seiner Skulpturen studieren wie hier. Er wiederum war der Lehrer des berühmten Schweizers Alberto Giacometti. Dessen erstaunlich kleines, aber eindrückliches Atelier mit Wandmalereien ist im Giacometti Institute in Montparnasse rekonstruiert. Unweit davon wird der Nachlass der interessanten Künstlerin Claude de Soria (1926–2015) gepflegt. Ein vergessener Sack Zement war einst Schlüsselerlebnis für ihre Materialexperimente.
Das Studio des rumänischen Bildhauers Constantin Brâncuşi, ehemals im Impasse Ronsin, hat Renzo Piano direkt neben dem Centre Pompidou neu errichtet. Für Brâncuşi war es nicht nur Arbeitsstätte, sondern auch Ausstellungsraum, wo er Meilensteine der Moderne wie den „Vogel im Raum“ erstmals präsentierte. Apropos modern: Zum Weltkulturerbe zählt Le Corbusiers gläsernes Wohnatelier vom Anfang der Dreißigerjahre.