Furchtlos kombiniert Shara Hughes Stile und Farben. Ob Sonnenuntergang, Kernfusion oder Baumschule, mit ihren leuchtenden Motiven gelingt es der Künstlerin, die Malerei der Gegenwart unter Starkstrom zu setzen. Zu Besuch in ihrem Atelier in Brooklyn
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16.07.2024
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Erschienen in
Weltkunst Nr. 228
Wenn die Sonne rund wäre, dann würde sich bei der Betrachtung dieses Bildes vielleicht nicht dieser unheimliche Unterton bemerkbar machen. Doch nun stellt sich die Frage, ob mit dem schrägen Dotter vor rotem Himmel und lila Wolken nicht der Einschlag eines Kometen dargestellt sein könnte, ein glühender, flüssiger Feuerball von solchen Ausmaßen, dass die Weltgeschichte sich noch einmal ganz von vorne erfinden müsste, weil die Schockwellen des Aufpralls fast alles Leben auf der Erde auslöschen würden. Die wenigen überlebenden Organismen würden sich neu sortieren, neues Leben würde in neuen Formen und Farben keimen, große Pflanzen würden klein und Pilze groß werden, riesige Wellen würden an neue Küsten ohne Menschen schwappen, und die neue Natur würde vielleicht so aussehen wie auf den Bildern von Shara Hughes.
Doch noch leben wir in dieser Welt. Und besonders die Welt, die Shara Hughes umgibt, sieht komplett anders aus als die Landschaften auf ihren Leinwänden, sehr städtisch, mit sehr vielen Menschen, mitten in Brooklyn. Von der Subway-Station Greenpoint Avenue sind es nur ein paar Minuten zu Fuß bis zu ihrem Atelier. Wer Richtung Westen geht, erlebt einen Teil von Brooklyn, der sich in den letzten Jahren von einer polnischen Arbeitergegend zu einem gefragten Wohnviertel entwickelt hat, in dem Cafés und kleine Boutiquen eröffnet haben – und am Ufer des East River gibt es sogar eine Fährstation mit bequemer Verbindung nach Manhattan.
Zum Atelier geht es aber in die andere Richtung, entlang der vierspurigen Straße über den noch breiteren McGuinness Boulevard, auf dem Lastwagen in einer Lautstärke entlangbrettern, die nirgends lauter ist als in New York. Gleich neben dem Supermarkt Key Food liegt das alte Industriegelände, auf dem sich der Backsteinbau voller Ateliers befindet. Im dritten Stock öffnet Shara Hughes eine schwarze Metalltür zum Treppenhaus. Die Künstlerin trägt eine rot-weiß gestreifte Latzhose und ein weißes T-Shirt. Auf ihren Armen blitzen vereinzelte Tätowierungen auf, und ihr aschblondes Haar steht im Kontrast zu den schwarzen Augenbrauen, sie wirkt jugendlich, fast ein bisschen schüchtern.
Jetzt führt sie ihren Besuch durch die Gänge bis zu ihrem Studio. Schon seit zehn Jahren arbeitet sie in verschiedenen Ateliers in diesem Gebäude, in den aktuellen Räumen seit rund einem Jahr. Das Studio von ihrem Mann, dem Künstler Austin Eddy, ist nur ein paar Türen weiter. Damit wir uns ungestört unterhalten können, hat sie Beans, ihren jungen Boston Terrier, vorsichtshalber bei ihm abgegeben. Der rote Gummiknochen liegt verwaist auf ihrem weiß lackierten Atelierboden wie ein Ausrufezeichen zwischen den vielen Farbklecksen. Sie entschuldigt sich für die Unordnung in ihrem Atelier, dabei sieht es recht aufgeräumt aus. An den Wänden stehen auf Farbeimern ihre jüngsten Malereien. Durch große Fenster nach Norden strahlt der blaue Himmel über der Skyline von Manhattan, deren Wolkenkratzer, das Empire State Building und das Chrysler Building mit seinem Art-déco-Turm, von hier aus klein wie Spielzeuge aussehen. Daneben fällt der Blick auf eine Art Industriegebiet gleich gegenüber. „Das ist die Kläranlage“, sagt Hughes, „ich glaube, hier wird das Abwasser von ganz Brooklyn gefiltert. Vito Acconci hat sie entworfen, was ziemlich cool ist.“
Ihren ungewöhnlichen Vornamen hat ihr ältester Bruder ihr gegeben, der bei ihrer Geburt 1981 in Atlanta sieben Jahre alt war. „Meine Eltern fanden den Namen super.“ Sie studierte Kunst an der renommierten Rhode Island School of Design. 2017 nahm sie an der Whitney Biennial teil, im Jahr darauf hatte sie ihre erste Ausstellung bei Eva Presenhuber in Zürich – für ihre aktuelle, fünfte Schau in der Galerie hat sie die neuen Bilder gemalt –, und inzwischen hatte sie Einzelausstellungen an Institutionen in Aspen, Dijon, St. Louis, London, Schanghai, Luzern, in der Flag Art Foundation in New York und zuletzt am Kunsten Museum of Modern Art im dänischen Aalborg. Auf Auktionen hat ihre Kunst atemberaubende Ergebnisse erzielt, die in einem Rekordzuschlag von 2,4 Millionen Dollar für eine abstrakte Berglandschaft bei Christie’s vor zwei Jahren gipfelten.
Was macht das mit einer jungen Künstlerin, wenn der Markt sich so steil entwickelt? „Natürlich erzeugt das einen äußeren Druck“, sagt sie, „aber eigentlich habe ich den gleichen Druck aus mir heraus. Ich versuche, viel von dem, was diese Idee von Erfolg bedeutet, zu ignorieren, weil viel davon marktgetrieben ist. Das Einzige, was ich kontrollieren kann, ist, jeden Tag ins Atelier zu kommen. Und das ist wirklich das, was ich liebe. Wenn ich glücklich meiner Arbeit nachkommen und mich immer neu herausfordern kann, dann ist das für mich Erfolg. Alles andere liegt mehr oder weniger außerhalb meiner Kontrolle.“
Shara Hughes’ neue Werke sind jeweils auf einen Baum konzentriert. Der Stamm wächst direkt aus der unteren Bildkante heraus, die Farben knallen wild aufeinander, Lila und Orange, Grün und Braun, Rosa und Gelb, mit expressiver Pinselführung. „Ich habe mit diesem neuen, besonders hohen und schmalen Format angefangen, das an den hohen Bäumen orientiert ist. Jeder Baum hat seine eigene Persönlichkeit.“ Vielleicht seien es Selbstporträts, sagt sie, vielleicht aber auch Porträts anderer Personen. Mit der Leinwandhöhe von mehr als zweieinhalb Metern erinnern die Bilder vage an Staatsporträts. „Es fühlt sich an“, sagt Hughes, „als ob man in einen Spiegel schaut oder vielleicht auf ein Denkmal oder eine Statue, die ein wenig größer ist … als ob man jemanden konfrontiert.“