Am ersten Tag starten wir unsere Tour am Big Ben, spazieren über den Trafalgar Square und besuchen die Marina Abramović Retrospektive in der Royal Academy of Arts
1. Tag
ShareDie Rolltreppe der Tube-Station Westminster bringt uns nach oben. Aus der gedämpften Geschäftigkeit der Untergrundbahn kommend, stehen wir mit einem Schlag im Herzen von London. Vor uns ragt Big Ben in die Höhe, rechter Hand die Westminster Abbey, deren Schlangen von Wartenden seit der Krönung Charles III. gefühlt noch einmal länger geworden sind. Alle wollen den Krönungsstuhl sehen, in dessen Holz vorwitzige Schuljungen des 19. Jahrhunderts ihre Autogramme hinterließen.
Statt uns einzureihen, gehen wir nach links zur Themse, genießen den Panoramablick aufs Riesenrad am Ufer gegenüber und spazieren den Fluss entlang. Ein überraschend ruhiger, kleiner Park erinnert plötzlich mit diversen Denkmälern an die vielen Kriegshelden der einstigen Weltmacht Großbritannien. Das jüngste ehrt die Streitkräfte in Irak und Afghanistan und ihre zivilen Helfer: Die Whitehall Gardens gehören zum Verteidigungsministerium. Gleich um die Ecke liegt 10th Downing Street, zahllose Premierministerinnen und -minister gaben sich hier in den letzten Jahren die Klinke in die Hand. Um sich im Kontrast dazu an einen Regierungschef zu erinnern, der Geschichte schrieb, besuchen wir die Churchill War Rooms. In dieser geheimen Kommandozentrale lenkte Winston Churchill zwischen 1939 und 1945 die Geschicke seines Landes im Krieg. Der Rundgang durch die engen Räume voller Karten, Telefone und schmaler Betten mächtiger Menschen ist beeindruckend.
Nach diesem deep dive in die politische Weltgeschichte schlendern wir zum nahen Trafalgar Square. Auch hier sind Heroen der britischen Historie im Blick, allen voran Admiral Nelson auf seiner Säule, dessen Sieg von Trafalgar dem Platz seinen Namen gab, aber die Fourth Plinth gehört seit 2005 der Kunst: Alle zwei Jahre steht dort ein anderes künstlerisches Monument, im Moment erinnert Samson Kambalus Bronze „Antilope“ an einen frühen Widerstandskämpfer gegen den Kolonialismus in Malawi – in diesem Umfeld lässt die Politik auch die Kunst nicht los.
Nach einer Mittagspause in der Krypta von St Martin-in-the-Fields, die Kirche ist ein Juwel des schottischen Architekten James Gibbs aus dem 18. Jahrhundert und beherbergt im Keller ein charmantes Café, geht es rüber zur National Portrait Gallery. Nach dreijährigem Umbau wurde die kleine Schwester der benachbarten National Gallery diesen Sommer glanzvoll wiedereröffnet. Sie beherbergt mehr als 200.000 Porträts mit wohl ebenso vielen Geschichten dahinter. Nicht verpassen sollte man Joshua Reynolds’ „Bildnis des Omai“, das in einer großen Fundraising-Aktion gemeinsam mit dem kalifornischen Paul Getty Trust erworben wurde und so zumindest phasenweise in England verbleibt.
Auf die männliche Dominanz in dieser wie in so vielen anderen Kunstinstitutionen reagierte die Londoner Künstlerin Tracey Emin, die den Auftrag erhielt, die neuen bronzenen Eingangstüren zu gestalten. Diese zieren nun 45 Gesichter unbekannter Frauen.
Feministisch eingestimmt, geht es nun weiter zur Royal Academy of Arts, die ab 23. September ihre traditionsreichen Räume einer Ikone der radikalen Selbstbehauptung überlässt: In einer großen Retrospektive entfaltet sich hier das 50-jährige Schaffen von Marina Abramović – wechselnde Live-Performances selbstverständlich inklusive. Über den Piccadilly Circus, dessen größten Werbescreen regelmäßig abends die Kunstinitiative Circa Art mit Videos bespielt, geht es zurück ins Regierungsviertel. Das Luxushotel Corinthia residiert in einem opulenten Gebäude, in dem während des Zweiten Weltkriegs kurzzeitig das Verteidigungsministerium untergebracht war. Wir haben die Wahl zwischen dem vierstöckigen Spa oder einem Dinner im urigen Kerridge’s Bar & Grill. Der Sterne- und TV-Koch Tom Kerridge gewann seinen ersten Michelin-Stern mit einem Pub und hat etwas von dessen Atmosphäre in das gehobene Ambiente seines Restaurants im Corinthia gerettet. Danach lassen wir den Abend in der eleganten Hotelbar Velvet bei einem Whisky Sour ausklingen.