Höhepunkte der Backsteingotik für Seeleute und die Spuren der berühmten Lübecker Willy Brandt und Günter Grass
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Im Seefahrerviertel starten wir bei St. Katharinen, die seit 1848 Museumskirche und ein besonders schönes Beispiel der Backsteingotik ist. Das Innere birgt üppiges Originalinventar wie Epitaphe, Grabplatten von 1300-1500 und den seltenen doppelgeschossigen Chor, in dessen Oberchor das Gestühl der Franziskaner erhalten ist. Für die schlichte Westfassade konzipierte in den 1930er-Jahren Ernst Barlach die expressionistische Figurenreihe Gemeinschaft der Heiligen, um die Nischen der unteren Blendarkaden zu füllen. Der diffamierte Bildhauer selbst konnte nur die drei linken Gestalten vollenden. Die übrigen sechs übernahm der Bauhauskünstler Gerhard Marcks.
Ein Schlenker führt zum Günter Grass-Haus, das sich dem Schriftsteller, Bildhauer und Grafiker widmet. Es diente ihm als Arbeitsort und beleuchtet heute, wie umfassend Grass in Skulptur, Bild und Wort tätig war. Zu sehen ist unter anderem seine „Blechtrommel“-Olivetti, auf der er die Geschichte des Oskar Matzerath schrieb.
Das Gebäude hat eine hübsche bauliche Verbindung mit dem Willy-Brandt-Haus in der Königstraße, denn die beiden waren auch Freunde. In der Gedenkstätte begrüßt uns die farbige Miniatur der großen Brandt-Skulptur von Rainer Fetting in der Berliner Parteizentrale. An der Wand auf halber Treppe fing der Künstler jenen bewegenden Moment 1970 in Erfurt ein, als der gebürtige Lübecker als erster westdeutscher Politiker Ostdeutschland besuchte. Die Ausstellung rollt am Beispiel der Brandt-Biografie deutsche Demokratiegeschichte auf.
Gegenüber lohnt das alteingesessene Kunsthaus von 1947 den Besuch, mit Originalen von Günter Grass, Armin Mueller-Stahl, Horst Janssen oder Jörg Immendorff. Danach besuchen wir das wichtigste Lübecker Kunstmuseum, das Behnhaus Drägerhaus. Wegen der Sanierung des Behn-Traktes, eines Patrizierhauses von 1783, werden die Stars der Sammlung „Von Caspar David Friedrich bis Edvard Munch“ bis Ende 2023 im Drägerhaus gezeigt. Der Schwerpunkt liegt auf norddeutschen Malern wie Lovis Corinth, Max Liebermann und Max Slevogt sowie Lübecker Künstlern wie Gotthardt Kuehl, dessen Alltagsszenen eine impressionistische Handschrift aufweisen.
Im Gebäude nebenan ist die Overbeck-Gesellschaft zu Hause. Mit diesem Namen ehrt der Kunstverein von 1918 die Lübecker Familie sowie den Nazarener Friedrich Overbeck, fördert aber zeitgenössische Kunst zu gesellschaftsrelevanten Themen. Die fünf Schauen im Jahr werden im weißen Pavillon gezeigt. Seine strenge Bauhaus-Geometrie aus dem Jahr 1930 verdankt es dem Baumeister Harry Maasz, ein ungewohnter Kontrast zur Umgebung.
Es folgt eine Pause im Fischrestaurant Fangfrisch, dessen kleine Karte und die Marke „Feinheimisch“ ein Versprechen für Frische und Qualität sind. Zum Dessert besuchen wir die Manufaktur Evers & Tochter, die süße Sünden wie feine Schokoladen und essbare Blüten herstellt. Unbedingt anmelden!
St. Jakobi ist der Patron der Seeleute, die Kirche bekannt für die beiden noch bespielbaren Orgeln aus dem 16. Jahrhundert, auf denen auch der berühmte Organist Dieterich Buxtehude konzertierte. Im nördlichen Seitenschiff illustriert das Lichtkreuz der Wiener Künstlerin Maria Moser schön den heutigen Umgang mit Gedenkkultur. Eine acht Meter hohe, bemalte Stoffbahn in Form eines Kreuzes verdeckt seit 2017 den „Landsturmmann“ des wegen seiner Nähe zum NS-Regime umstrittenen Bildhauers Fritz Behn. Altes Gedenken tritt in den Schatten des neuen.
Wie Bleistifte erheben sich am Koberg die schlanken Kirchtürme des Heiligen-Geist-Hospitals, eine der ältesten sozialen Einrichtungen weltweit. Wohlhabende Lübecker bauten dieses Schmuckstück der Backsteingotik für Gebrechliche und Senioren und sparten an Ausstattung nicht. Im Kirchenraum bezirzen uns ein weitgespanntes Gewölbe, farbenprächtige Fresken und vergoldete Schnitzaltäre. Im Langhaus sind die kleinen Kammern der Bewohner zu sehen, die Kabäuschen.
Am Abend fällt die Wahl aufs Restaurant Miera: ausgefallene Gemälde an roten Wänden, entspannte Atmosphäre, gutes Essen.
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