Wir bestaunen die spektakulären Installationen des indisch-britischen Künstlers Anish Kapoor, genießen die Aussicht vom Canal Grande bis zu den Dolomiten und lassen den Abend mit einem Aperitif im Caffè Lavena ausklingen
ShareHeute erlaufen wir die Stadt von der Cannaregio-Seite her und besuchen zunächst das historische Ghetto-Viertel. Wenn man dies vom Guglie-Ufer aus betritt, kommt man an der alteingesessenen Bäckerei Giovanni Volpe vorbei, die köstliches koscheres Mandelgebäck anbietet. Das Jüdische Museum wird im Nachgang der 500-Jahr-Gedenkfeier zur Ghettogründung gerade erneuert und erweitert, aber auch der verkürzte Rundgang bietet eine gute Einführung zur wechselvollen Geschichte der Juden in Venedig. Im Sommer 2022 sollen dann die drei nahe gelegenen historischen Synagogen wieder für Besucher geöffnet werden. So erhält man unter anderem Zutritt in die große Scola Ponentina oder Spagnola, die im 17. Jahrhundert vermutlich von dem berühmten Architekten Baldassare Longhena fertiggestellt wurde, der auch die Salute-Kirche erbaut hat. Um die Mittagszeit locken die vielen Bars und Restaurants an den angrenzenden Kanälen zwischen Canal Grande und Nordlagune, besonders beliebt ist das „Paradiso Perduto“, das einige Tische draußen am Kanalufer hat und bei dem sich Venezianer, die mit Ruderbooten vorbeifahren, mit cicheti & spritz versorgen. Wer es ruhiger mag, kehrt bei Tommaso Sichiero in der „Trattoria alla Palazzina“ am Guglie-Kanal ein, bei schönem Wetter sitzt man hier herrlich unter den Glyzinien im Innenhof.
Wenn man schon am Guglie-Ufer ist, liegt der Besuch der neusten Attraktion in Cannaregio nahe. Zur Kunstbiennale 2022 wurde der Sitz der 2017 gegründeten Anish Kapoor-Stiftung teileröffnet und mit spektakulären Installationen des indisch-britischen Künstlers Anish Kapoor bestückt (bis 9. Oktober). Vor allem der mit Balustraden umgebene Ball- oder Musiksaal im Obergeschoss ist beeindruckend, hier erhebt sich Kapoors riesige kreisrunde rote Scheibe „Symphony for a Beloved Sun“ von 2013, deren reduzierte abstrakte Narrative in diesem historischen Kontext besticht.
Am frühen Nachmittag laufen wir über die Strada Nuova zum alten deutschen Handelszentrum Fondaco dei Tedeschi an der Rialtobrücke, das heute eine Luxus-Mall ist. Dort, wo zu Zeiten der Republik Venedig Handel zwischen Oberdeutschen und Venezianern getrieben wurde, erinnert ein mit Wappen verzierter Kamin im ersten Obergeschoss an die ehemalige Fugger-Stube. Spektakulär ist der Ausblick von der Aussichtsterrasse, denn von der S-Kurve des Canal Grande schaut man bis zu den Dolomiten und hinüber zur Südlagune (kostenfreier Zugang mit Voranmeldung über die T-Fondaco-Website). Über die großzügige Treppenanlage, die, ebenso wie die Innenfassade, von 1506 stammt, laufen wir runter und werfen im Vorbeigehen einen Blick auf die Händlerzeichen an den steinernen Balustraden. Wer kurz rasten möchte, dem sei eine Pause in der von Philippe Starck gestalteten Bar AMO empfohlen, in der man auf großzügigen Sesseln verweilen kann.
Danach geht es weiter vom Rialto bis ins Castello-Viertel, wo unweit des Arsenales die Renaissancekirche San Lorenzo liegt. Hinter der schlichten, unfertigen Backsteinfassade verbirgt sich ein enormer doppelter Kirchenraum, der mehr hundert Jahre geschlossen war und nun von der TBA21 Academy Wien als Ausstellungsraum genutzt wird. Francesca Thyssen Bornemitza fördert Ozeanforschung und Aufklärung über den prekären Zustand der Weltmeere und hat in Venedig mit „Ocean Space“ einen Ort der Begegnung zwischen Wissenschaft und Kunst geschaffen. Zur Freude der Venezianer und insbesondere der Anwohner ist der Eintritt frei und verspricht eine gute Durchmischung des Publikums. Wir lassen den Abend am nahe gelegenen Markusplatz ausklingen, wo wir einen Aperitif im Caffè Lavena einnehmen. In diesem traditionsreichen Kaffeehaus, das schon Richard Wagner besuchte, treffen sich die Venezianer am frühen Abend an der langen Bar auf einen Drink im Stehen. Von draußen schwappt die Salonmusik hinein, Kellner in Livree eilen vorbei, und Direktor Massimo Milanesi bereitet den besten Cocktail Americano der Stadt zu.