Auf den Spuren Goethes und Schillers

Am ersten Tag starten wir unsere Tour am Kultur-Bahnhof, entdecken das Goethe-Nationalmuseum und essen hausgemachtes Zitronen-Holunder-Eis hinterm Schillerhaus

1. Tag

Natürlich ist der Bahnhof in einer Stadt wie Weimar nicht einfach ein Bahnhof. Er ist, wie Schilder über den Gleisen verkünden, ein „Kultur-Bahnhof“. Neben dem Kultur-Raucherbereich grüßt an den Kultur-Schließfächern das erste Goethe-Zitat: „Das Höchste, wozu der Mensch gelangen kann, ist das Erstaunen.“ Also auf, hinunter in die Kopfsteinpflastergässchen von Weimar und losgestaunt. Rein in die Stadt, in der sich von jeher alles, was geschieht, augenblicklich in Kultur und Geschichte verwandelt: Rostbratwurstgrills und Biedermeiergärtchen, Goethe und Henry van de Velde, das Grauen von Buchenwald und die Herrlichkeit von Schloss Belvedere.

Drei Tage Weimar ließen sich auch prächtig mit wechselnden Eis- und Kuchenvariationen am schattigen Ufer der Ilm verbringen, doch wir wollen natürlich das volle Programm: Klassik, Bauhaus, Gegenwart. Etwas Eis, Kuchen und Ilm gibt es zwischendurch auch, versprochen.

Nach einem schnellen Frühstück mit Curry-Dattel-Stulle in der Brotklappe am Frauenplan geht es über die Straße in das Haus, was zu jedem Weimartrip gehört wie Werther zu Lotte: Im heutigen Goethe-Nationalmuseum lebte der Dichter fast fünfzig Jahre bis zu seinem Tod 1832. Goethe baute im Garten Artischocken an, experimentierte mit Wandfarben, sammelte Zehntausende naturwissenschaftliche und künstlerische Objekte, wurde schreibend, forschend, korrespondierend zu deutscher Geschichte.

Goethe Wohnhaus Weimar
Blick in Goethes Wohnhaus am Frauenplan. © Alexander Burzik/Klassik Stiftung Weimar

Wer heute zwischen all den Deutsch-Leistungskursen und koreanischen Reisegruppen nicht unleidlich wird, kann in seinem Wohnhaus und der Ausstellung „Lebensfluten – Tatensturm“ viel entdecken. Goethes Abneigung gegen bequeme Möbel etwa, die nur von der Arbeit abhalten, Goethes Münzschränke und Mauerseglerskelette, die Rechnungen seiner Italienreise mit hohen Posten für Cioccolato und Vino. Gekontert und aktualisiert wird der Meister durch Sonya Schönbergers im Erdgeschoss präsentierte künstlerische Recherche zu Goethes Topfpflanzen, und mit im Haus verstreuten zeitgenössischen Werken unter dem Titel „Walle! walle*“.

Ein Spaziergang hinüber zum Schiller-Museum, Pferdekutschen und Bratwurstgrillwolken ausweichend. Wer schon genug von historischem Mobiliar hat, findet hier bis Anfang November die Ausstellung „Power House“ der Uni-Galerie nova space. Der Ausstellungstitel spielt auf den Wohnungsmarkt, Wrestling und Pilates an, und ungefähr so weit ist auch das kreative Spektrum. Neben einer Fotoserie über klassizistischen Kitsch auf Kreuzfahrtschiffen ist die eindrucksvolle Videoarbeit „Diasporic Minutes“ zu sehen. Negar Rahnamae verhandelt darin ihre Zerrissenheit zwischen der Weimarer Idylle und dem Zusammenbruch ihrer iranischen Heimat. Bevor wir das Schillerhaus verlassen, noch ein Tipp an alle Fans von Möbeln toter Genies: Ab 25. August sind im Museum Neues Weimar erstmals die privaten, ziemlich zerfledderten Möbel von Friedrich Nietzsche und seiner Schwester Elisabeth ausgestellt.

Rokokosaal Herzogin-AnnaAmalia-Bibliothek Weimar
Der dreigeschossige Rokokosaal der Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek. © Alexander Burzik/Klassik Stiftung Weimar

Mit einer hausgemachten Kugel Zitrone-Holunder von Biebereis hinterm Schillerhaus flanieren wir in Richtung Park. Wer rechtzeitig (das heißt Wochen vorher) daran gedacht hat, sich ein Ticket für den Rokokosaal der Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek zu reservieren, kann sich drin durch die weißgoldene Herrlichkeit staunen. Alle anderen genießen den Schatten des 210 Jahre alten Ginkgos schräg gegenüber an der Musikhochschule, der Goethe zu einem verliebten Gedicht inspirierte („Dieses Baumes Blatt…“). Googeln oder dichten Sie selbst weiter, während Sie hoffentlich talentierten Musikstudentinnen lauschen.

Nur zwei Minuten Fußweg in Richtung Stadtschloss liegt schließlich die kurz vor der Wende in einem autonomen Zentrum gegründete ACC Galerie. Bis Mitte August sind dort unter dem Titel „4LL OV3R TH3 PL4C3“ die mal witzigen, mal chaotischen, mal psychotischen Installationen und Videos des deutsch-mexikanischen Künstlerpaars Clara Winter und Miiel Ferráez zu sehen. In der Abendsonne noch eine Weimarer Forelle und ein, zwei Weißwein vorm ACC Café im Erdgeschoss, vielleicht ein Spaziergang um die Stadtschlossbaustelle, bevor uns die kulturschweren Augen zufallen

Hier geht’s weiter zu Tag 2.

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