In der Geschichte verwurzelt und doch am Puls der Zeit: Salzburgs Museen, Galerien und Kunsthandel spannen einen Bogen über viele Jahrhunderte. Von Christiane Meixner
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Anita Thanhofer hat ein kleines Heft mitgebracht. Darauf klebt ein „Post-it“ mit einem einzigen Wort: Licht. Was mir dazu einfällt, möchte die Kunsthistorikerin aus Salzburg wissen. Wir stehen vor der Galerie von Thaddaeus Ropac, die Sonne brennt aufs Dach der Villa Kast, darüber leuchtet der Himmel. Dieses Licht ist ein Spektakel, man wird geblendet und sieht die Häuser am Mirabellplatz als scharf ausgeschnittene Silhouetten. Ganz anders verhält es sich dann in der Galerie. Hier ist es angenehm hell, aber auch etwas gedämpft: Die Ausstellung entfaltet sich im Zusammenspiel von Kunst- und Tageslicht, jeden Reflex auf den Arbeiten hat man mit Bedacht inszeniert.
Es ist die erste kleine Lektion auf Thanhofers Galerierundgang. Ihre „interaktiven Workshops“ bietet sie seit gut drei Jahren an, inzwischen kooperiert die zertifizierte Kunstvermittlerin mit der Salzburger Wirtschaftskammer. Ulrike Reinert, Berufsgruppensprecherin des Handels für Kunst und Antiquitäten, möchte mehr Menschen auf diesen „Wegen zur Kunst“ in aktuelle Ausstellungen bringen und damit nicht zuletzt die Galerien unterstützen. Wer mit Anita Thanhofer unterwegs gewesen ist, weiß aber auch, was er selbst von dieser Tour mitnimmt: eine Sensibilisierung für die Wahrnehmung von Kunst. Thanhofer – das ist die zweite angenehme Lektion – füttert ihr Gegenüber nicht mit Informationen. Sie mag es nicht, erklärt sie, vor der Gruppe zu stehen und zu dozieren. Ihr Workshop kitzelt stattdessen eigene Gedanken aus den Teilnehmern heraus. Jeder von ihnen bekommt auf der gut dreistündigen Tour einen gelben Klebezettel, auf jedem steht ein anderes Wort. So wie „Farbe“ oder „Anfang“. Und während man noch über seine Bedeutung im Zusammenhang mit Kunst nachdenkt, steht man bereits vor dem ersten Werk in der Galerie Ropac.
Sie gehört zu den großen internationalen Kunsthandlungen, imposante Dependancen in Paris und seit Jüngstem auch in London unterstreichen die Bedeutung von Thaddaeus Ropac, der 1989 sein erstes Haus in Salzburg eröffnete. Es bleibt das Stammhaus und bringt Künstler wie Georg Baselitz, Anselm Kiefer oder aktuell den Minimalisten Imi Knoebel in die Stadt, dessen Bilder in Europas wichtigen Museen hängen. Anita Thanhofer lässt ihre Gruppe – „22 Personen sind das absolute Maximum“ – durch die Räume streifen, bis eine der Mitarbeiterinnen von Ropac eine kurze Einführung gibt. Danach versammelt man sich vor einem Werk, um genau hinzuschauen und über seine Eindrücke zu sprechen.
Das ist weit weniger anstrengend, als es vielleicht klingt. Die Kunsthistorikerin hält die Eigeninitiative viel mehr für den entscheidenden Schlüssel, um sich anschließend selbst moderne Kunst anzueignen. Ein gutes Bild, ist Thanhofer sicher, beweist sich daran, dass man viel darüber reden kann. Wenn die Teilnehmer auf ihrer Tour vor einer Arbeit verstummen, begreift sie das als schlechtes Zeichen – für das Werk, selbst wenn es aus namhafter Hand stammt. Meist aber geschieht das Gegenteil: In dem Heft, der liebevoll von jungen österreichischen Künstlern gestalteten Einladung zum Rundgang, füllen sich die leeren Blätter mit Notizen und Skizzen. Die Teilnehmer tauschen sich auch untereinander aus, und manche Gespräche entwickeln sich so intensiv, dass Thanhofer dann schon drängen muss. Drei Stunden, das klingt nach ewig viel Zeit: Doch wenn vier Galerien auf dem Plan stehen und die Gruppe zu Fuß unterwegs ist, vergeht die Zeit schneller als gedacht.
Also hinaus in den Skulpturenpark der Galerie Mario Mauroner Contemporary. Er befindet sich auf derselben Seite der Salzach, und es ist fast unmöglich, auf dem Weg das Objekt am Makartplatz zu übersehen. Der britische Bildhauer Tony Cragg hat die fünf Meter hohe Skulptur aus Bronze 2008 im Rahmen des „Walk of Modern Art“ installiert. Heute gehört „Caldera“ der Sammlung Würth, die die Arbeiten im Stadtraum bewusst als Kontrastprogramm präsentiert: Zwischen Geschäften, auf belebten Plätzen und befahrenen Straßen entfaltet sich zweckfrei die Kunst. Im Skulpturenpark wiederum sind all diese Faktoren ausgeklammert: Hier begegnen die Werke von Carlos Aires, Jan Fabre oder Paolo Grassino der Natur. Ein Unterschied, der sich sofort bemerkbar macht: Die Atmosphäre im Park ist friedlich, fast meditativ. Und weil wir zuvor über die verschiedenen Facetten von Licht gesprochen haben, fällt noch etwas auf: Unter freiem Himmel wird neben den Künstlern auch die Sonne zum Modelleur. Mit jeder Wolke verändern die Skulpturen ihr Aussehen, die Oberflächen gleißen, werden im nächsten Moment matt, und die Formen werfen lange Schatten. Vieles wirkt belebt, auch wenn das im Fall von Grassinos düsterem Schädel, der aus lauter Schlangen zu bestehen scheint, für leichte Gänsehaut sorgt.
Auf dem Weg zum Ignaz-Rieder-Kai hat Anita Thanhofer schon die nächste Aufgabe gestellt. Nun geht es weiter – über den Fluss und in die Sigmund-Haffner-Gasse zur Galerie Welz. Und natürlich darf man die Führerin jederzeit fragen. Nach den Skulpturen im öffentlichen Raum, ihren Künstlern und der Bedeutung etwa des Frauenporträts von Jaume Plensa, das als Marmorkopf an der „Dietrichsruh“ der Salzburger Universität steht: still, monumental und unverkennbares Zeichen dafür, dass man am Palais Kuenburg angekommen ist. Über die Geschichte eines der wichtigsten Adelspaläste im Stadtzentrum verliert Anita Thanhofer kein Wort. Sie will und kann den Salzburger Fremdenführern keine Konkurrenz machen, und so muss man den romanischen Löwen im dämmrigen Durchgang selbst entdecken, der vermutlich noch aus dem Virgildom und damit der alten Kathedrale stammt. Den Dom ließ Fürst Erzbischof Wolf Dietrich abreißen, die wunderbare, nahezu lebensgroße Tierfigur aus dem 12. Jahrhundert blieb erhalten. Nebenan residiert seit fast hundert Jahren die Galerie Welz. Hier gibt es zur Kunst ein kleines Café, in dem man sitzen und die Bilder wie auch Skulpturen in den Ausstellungsräumen in Ruhe diskutieren kann. Der Dialog ist den Inhabern der Galerie ähnlich wichtig wie Anita Thanhofer, die noch einmal auf die Unterschiede aufmerksam macht. Kunst im Innenraum darf ruhig kleiner, vielteiliger und fordernder sein, denn die Atmosphäre in den Galerien erlaubt eine Konzentration, die es im Außenraum vor lauter Ablenkung nur selten gibt.
Ihre Tour variiert die Kunstführerin jedes Mal, das Angebot ist groß genug und erlaubt vielfältige Wege durch die Stadt. Wir biegen kurz noch zu Mario Mauroner Contemporary Art ab. Vorbei an der Mariensäule zum Residenzplatz, wo zwischen all den Zeugnissen klerikaler Vergangenheit auch die zeitgenössische Kunst in den Räumen der Galerie ihren Platz hat. Die letzte – und ausnahmsweise fünfte – Station ist stets ein Ausstellungshaus der Stadt, das den Künstlern ganz andere Möglichkeiten zum Experimentieren einräumt als Galerien, die vom Verkauf der Arbeiten leben müssen. Die Galerie im Traklhaus ist seit 1971 eine geförderte Institution, auch wenn es der Name erst einmal nicht verrät. Hier stellen vor allem junge Künstler aus, die noch nicht etabliert, wohl aber auf dem Weg dorthin sind.
Auch die Säulenhalle im Salzburger Rathaus gehört zu diesen Adressen, aber dorthin kann Anita Thanhofer mich nicht mehr begleiten. Die drei Stunden sind um, stellen wir überrascht fest und wissen nicht, wo die Zeit hingekommen ist. Bloß dass die kluge und charmante Kunstführerin absolut recht mit ihrer Behauptung hat. „Man kann mit mir ganz vieles erleben“, hieß es vor der Tür der Galerie Ropac.