Kunstmarkt für Fotografie

Sehnsucht nach Seltenheit

Die Zunahme von Online-Auktionen sorgt auf dem Markt für Fotografie für eine Nivellierung des Preisniveaus, doch der Kanon der Klassiker ist seit Jahren relativ stabil

Von Ivo Kranzfelder
13.09.2021
/ Erschienen in Kunst und Auktionen Nr. 14

Trends festzustellen ist schwierig, vor allem in Umbruchszeiten wie diesen. Die Fotografie als Bildmedium, besonders die digitale, ist prädestiniert für eine schnelle Reaktion. Der etwas träge und konservative Kunstmarkt hinkt oft hinterher. Das muss kein Nachteil sein, der Begriff „konservativ“ ist ja durchaus positiv konnotiert. Die Verengung der Kunstgeschichte der Moderne auf eine Geschichte der Avantgarden kann man auch kritisch sehen. Man denke nur an Jean Clairs Biennale 1995 in Venedig, mit dem aus heutiger Sicht prophetischen Motto „Identität und Alterität“.

Nun sind manche Auktionshäuser bemüht, immer auf der Höhe der Zeit zu sein – ohne jedoch die traditionelle Klientel zu vernachlässigen. 2017 begann der Hype um NFTs (Non Fungible Tokens, vereinfacht gesagt: mittels Blockchain als Eigentum nicht übertragbare, aber öffentliche Daten) mit grafisch-pixeligen Katzenbildchen, den CryptoKitties. Seinen bisherigen Höhepunkt erreichte er im Februar mit den fast 70 Millionen Dollar, die Mike Winkelmann („Beeple“) online bei Christie’s mit der digitalen Collage „Everydays: The First 5000 Days“ als NFT erzielte, was ihn, laut Christie’s, unter die drei teuersten lebenden Künstler platziert habe. „Wenn das alles bizarr klingt, dann deswegen, weil es das ist“ – schrieb das Fachblatt Wired. Der Vorteil von NFTs sei, nach Christie’s, endlich digitaler Kunst einen Wert zuzuweisen, der ein Meer von Möglichkeiten eröffne für ein Medium, das keine physischen Grenzen mehr kenne. Das ist nichts anderes als Alchemie: aus (fast) nichts Gold machen. Der feuchte Traum des Finanzkapitalismus: Die Ware verschwindet, nur der Preis bleibt. Ähnlich hat das einmal Lewis Carroll, unter anderem auch Fotograf, im Beispiel der berühmten Grinsekatze beschrieben: Die Katze verschwindet, das Grinsen bleibt.

Der Markt für Fotografie versucht das Paradox, die Fähigkeit zur Reproduktion mit dem Anspruch, durch Verknappung die Preise in die Höhe zu treiben, zu verbinden. Vielleicht ist es diese (selbst-?)ironische Erkenntnis, die Grisebach antrieb, das Cover ihres Katalogs vom 9. Juni mit dem ersten Bild einer neunteiligen Sequenz von Duane Michals zu schmücken, deren Titel „Eating Money“ genau das aussagt, was abgebildet ist: ein Teller mit ein paar Münzen und einer Fünf-Dollar-Note, die ein Mann gerade mit Messer und Gabel zu zerteilen beginnt (und bis zum Ende der Story komplett verspeist). Leider verfehlte die witzig-sarkastische moderne Version der König-Midas-Geschichte aus der Zeit um 1980 mit dem Zuschlag bei 5000 Euro die Taxe um 2000 Euro – trotz der Tatsache, dass es sich hier um das einzige existierende nummerierte Exemplar aus einer geplanten Serie von 25 handelt.

„Eating Money“ von Duane Michals (*1932), eine witzig-sarkastische Version der König-Midas-Geschichte aus der Zeit um 1980, erzielte am 9. Juni 2021 bei Grisebach 5000 Euro. © Grisebach, Berlin
„Eating Money“ von Duane Michals (*1932), eine witzig-sarkastische Version der König-Midas-Geschichte aus der Zeit um 1980, erzielte am 9. Juni 2021 bei Grisebach 5000 Euro. © Grisebach, Berlin

Mit der Zunahme von Online-Auktionen erhöht sich die schiere Anzahl der Auktionen mit Fotografie und damit auch der Objekte. Wohl als Folge davon kann man im letzten Jahr vermehrt eine Nivellierung des Preisniveaus und eine Erhöhung der Rückgänge konstatieren. Der Kanon für den traditionellen Sammler ist jedoch seit Jahren relativ stabil – von gelegentlichen Ausreißern oder kurzfristigen Hypes abgesehen. Ein (allerdings auf dem europäischen Markt eher selten anzutreffender) konstant hochpreisiger Protagonist ist Ansel Adams, eine Ausnahmeerscheinung als Fotograf wie als engagierter Umweltaktivist. Zwei Auktionen widmeten sich allein seinem Werk, im April bei Christie’s (online) und im letzten Dezember bei Sotheby’s in New York mit der Sammlung von David H. Arrington. Dort brachte es ein großformatiger Abzug von „The Grand Tetons and the Snake River, Grand Teton National Park, Wyoming“, aufgenommen 1942, abgezogen in den Sechzigerjahren, auf 800.000 Dollar (Taxe 400.000 Dollar), Rekord für einen Abzug von Adams. In der Liste der zehn teuersten Fotografien des Jahres 2020 taucht er allein dreimal auf. Wenn wir schon bei Statistik sind: Mit außerdem Richard Avedon und Laszlo Moholy-Nagy sind nur drei „echte“ Fotografen in dieser Liste vertreten, die anderen werden eher im „Kunst“-Bereich gehandelt: Richard Prince, John Baldessari, Gerhard Richter, Barbara Kruger und Thomas Struth.

Im November 2020 kam bei Christie’s in London, allerdings nur online, die Sammlung von Victor Martin-Malburet zum Aufruf, deren Thema die moderne Weltraumfahrt in allen ihren Facetten ist. Von den 700 Objekten wurden immerhin 532 verkauft, wenn auch, was bei der Masse nicht verwundert, oft unter Taxe. Seltene Stücke aber erzielten hohe Preise, wie etwa das Foto, das Neil Armstrong während der Apollo-11-Mission von Buzz Aldrin auf dem Mond machte, dabei sich im Visier des Helms von Aldrin spiegelnd. Von veranschlagten 6000 stieg es auf 45.000 Pfund. Im Juli zog Sotheby’s nach mit einer „Space Exploration“ genannten Auktion, in der neben von Astronauten signierten Fotografien, die allerdings stets im vierstelligen Bereich blieben, auch Raumanzüge, Mond- und Meteoritensplitter und Ähnliches angeboten wurden. Toplos war übrigens der Computer, der 1966 / 67 zur Steuerung der Apollo-Missionen am MIT entwickelt und von Raytheon gebaut worden war, mit knapp 750.000 Dollar.

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