Artcurial versteigert Arbeiten aus dem Nachlass des Pariser Fotografen Willy Ronis, der in Deutschland noch wenig bekannt ist. Darunter Aufnahmen seiner Reise in die DDR in den 1960er-Jahren
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13.12.2021
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Erschienen in
Kunst und Auktionen Nr. 20
Eine etwas größere Abteilung der Auktion ist den Pariser Arrondissements gewidmet, die Ronis über längere Zeit erkundet hat und über die er 1952 einen grandiosen Bildband veröffentlicht hat: Belleville Ménilmontant. (Taxen 800 bis 4000 Euro). Pierre Mac Orlan hatte damals einen Text beigesteuert. Belleville, früher Heimat unterschiedlichster Migranten vor allem aus den ehemaligen französischen Kolonien, hat sich im Laufe von ungefähr drei Jahrzehnten bis heute zu einem schicken und angesagten Künstlerviertel mit Ateliers und Galerien gewandelt. Apropos: Künstler- und Intellektuellenporträts dürfen in Ronis’ Werk nicht fehlen, darunter selbstverständlich der Chronist der PCF (Parti communiste français) Louis Aragon („Louis Aragon chez lui, 1954“, Silbergelatine-Abzug, um 1970, Taxe 1000 Euro; „Elsa Triolet et Louis Aragon à Saint-Arnoult, 1952 / Elsa Triolet et Louis Aragon à Paris, rue de la Sourdière, 1954“, 5 Silbergelatine-Abzüge, um 1950, 1970 und 1990, Taxe 1500 Euro), Jean-Paul Sartre („Jean-Paul Sartre devant l’église Saint-Germain-des-Prés – Paris, 1956“, Silbergelatine-Abzug 1985, Taxe 800 Euro), Boris Vian (Boris Vian – Paris, 14 mai 1956“, Silbergelatine-Abzug, um 1960, Taxe 1000 Euro; Boris Vian – Paris, 14 mai 1956“, 4 Silbergelatine-Abzüge, um 1980, Taxe 1500 Euro) oder der als engagierter Aktivist tätige Yves Montand („Chez Yves Montand, 21 rue de Surène, octobre 1946“, 7 Silbergelatine-Abzüge, um 1980, Taxe 1000 Euro).
Den Abschluss der Auktion bildet ein hochinteressantes und aktuelles Konvolut von Aufnahmen, die Ronis 1967 auf einer Reise in die DDR angefertigt hat (Taxen 800 bis 2000 Euro). Auftraggeber war der 1958 in Paris gegründete französisch-deutsche Freundschaftsverband „EFA“ (Association Échanges franco-allemands). Diese Reportage war bis vor Kurzem in einer Ausstellung der Médiathèque de l’architecture et du patrimoine (MAP) im Espace Richaud in Versailles zu sehen. 1983 hatte Willy Ronis dem französischen Staat seinen Nachlass und seine Archive als Schenkung überlassen, seine Bibliothek, alle seine schriftlichen Aufzeichnungen, 20.000 Abzüge und mehrere Hunderttausend Negative samt Kontaktabzügen. Als Gegenleistung verlangte Ronis die Bereitstellung eines Appartements in Paris durch den Staat und den Erhalt der Einheit seines Archivs. Beides wurde genehmigt, Letzteres erlaubte eine kontextbezogene Rekonstruktion des als historisches Dokument hochinteressanten Werkblocks.
Ronis’ Aufnahmen aus der DDR sollten dem Zweck dienen, in Frankreich den Boden für die Anerkennung der DDR als eigenständiger Staat zu bereiten, entgegen der deutschen Hallstein-Doktrin, die allerdings 1969 unter der Regierung Brandt aufgegeben wurde. Wie sonst auch fotografierte Ronis aus seiner Sicht das Alltagsleben, auch die Arbeit, der normalen Menschen in ihren Räumen und Zusammenhängen, außerdem Künstler und Intellektuelle, darunter John Heartfield, dem er – nach eigener Aussage – besonders viel zu verdanken hatte („John Heartfield à Berlin-Est – Premier voyage en RDA, avril 1960“, Vintage-Silbergelatine-Abzug, Taxe 500 Euro).
Der Katalog der Ausstellung ist bereits zweisprachig erschienen, der deutsche Klappentext kann sich die Bemerkung nicht verkneifen, Ronis habe die Probleme des Systems lieber beiseitegelassen. Angesichts einer Auftragsarbeit und Ronis’ eigener Einstellung eine seltsame Einlassung. Die deutsche ideologische Verbohrtheit hat oft etwas Masochistisch-Selbstzerstörerisches. Ein bisschen mehr Entspanntheit und ein unvoreingenommener Blick auf andere Kulturen, in diesem Fall die französische – oder, wie hier, im Wechsel der Perspektive, die deutsche aus französischer Sicht –, könnten da nicht schaden. „Mehr Süden wagen“ – das hat Max Weber schon vor über einhundert Jahren seinen Landsleuten ans Herz zu legen versucht. Die Bilder von Willy Ronis bieten dazu eine erstklassige Anregung. Ob die Ausstellung über die DDR deutsche Stationen finden wird, wird sich zeigen.