Im Auktionsjahr 2021 waren bei den Alten Meistern Werke der Gotik und Renaissance bevorzugt gefragt. Abgesehen von großen Namen führten ungewöhnliche Sujets oft zu hohen Preisen
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28.12.2021
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Erschienen in
Kunst und Auktionen Nr. 20
Ein weiterer spektakulärer Zugang im Getty-Museum ist in dieser Rubrik bereits eine alte Bekannte: Artemisia Gentileschis „Lucretia“, die 2019 mit einem Zuschlag von vier Millionen Euro bei Artcurial in Paris den bisherigen Rekordpreis für ein Werk der Künstlerin erzielte. Zwei Jahre später hat das Museum nun dieses Gemälde von der Londoner Mattheisen Gallery gekauft. Seit 1981 wird am 25. November der Tag zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen begangen. Lucretia, die sich bekanntlich nach einer Vergewaltigung das Leben nahm, zeigt ein weiteres Mal, dass die klassischen Geschichten, erzählt von Alten Meistern, Aktualität besitzen können.
Längst schon sind die Werke Artemisia Gentileschis keine Entdeckung mehr. Wie nachhaltig die Barockmalerin bereits im Markt angekommen ist, zeigen Ergebnisse bei Christie’s. In New York wurde im April ihre „Magdalena Penitente“ auf 550.000 Dollar (Taxe 300.000 Dollar) gehoben, in London ging es im Juli für „Venus und Cupido“ sogar von taxierten 600.000 Pfund auf glatte 2 Millionen. Auch das im deutschsprachigen Raum mit italienischer Malerei immer wieder erfolgreiche Wiener Dorotheum konnte im Juni eine Leinwand von ihr weiterreichen. Die caravaggeske „Judith mit Dienerin und dem Haupt des Holofernes“ erfüllte mit einem Zuschlag von 280.000 Euro die Erwartung allerdings nicht ganz.
Ebenfalls im Dorotheum erreichte am 10. November eine Tafel von Rubens und Werkstatt mit der Heiligen Familie, der heiligen Anna, dem Johannesknaben und der Taube 430.000 Euro (Taxe 350.000). Der Flame, der über lange Zeit den Preisrekord für Alte Meister innehatte, überstieg in keinem Haus die Million. Einem siebenstelligen Ergebnis am nächsten kam am 8. Juli Christie’s in London, als Rubens’ charaktervolle Studie eines bärtigen Mannes 800.000 Pfund (Taxe 250.000 Pfund) erzielte.
Auch insgesamt zeigte sich der flämische Teil der Niederlande auf Auktionen der DACH-Region en vogue. Ein Highlight bei Koller in Zürich beispielsweise war Ende März der „Heilige Hieronymus“ von Anthonis van Dyck, der von 800.000 auf 2,1 Millionen Franken gehoben wurde. Die Provenienz des Bildes ist beeindruckend. Rubens war der Erstbesitzer, in dessen Werkstatt van Dyck in seiner Antwerpener Zeit – aus der das Werk stammt – bekanntlich zeitweise arbeitete. Und so demonstriert der „Hieronymus“ auch, welch hohe Qualität sich hinter dem Begriff Werkstatt mitunter verbergen kann.
Hoch war auch die Qualität des „Kreuztragenden Christus“, den Nagel in Stuttgart am 14. Juli offerierte. Es handelte sich hier um eine Arbeit von Luis de Morales unter Werkstattbeteiligung, die von geschätzten 10.000 auf 910.000 Euro gehoben wurde. Wer genau damals in der Werkstatt von Luis de Morales tätig war, lässt sich aber leider schwer sagen.
Selbst eine Arbeit, die Rubens wohl nicht selbst fertiggestellt, sondern seiner Werkstatt überlassen hat, kann bei entsprechender Qualität die Bieter reizen. So der Fall bei einer „Madonna mit Kind“, die am 20. November bei Lempertz angeboten wurde. Die Komposition, die auch in Stichen verbreitet wurde, ist überzeugend. Und so erreichte die Tafel ein Gebot von 170.000 Euro. Mit dem „Bildnis einer Patrizierin“ von Anton Möller, das am selben Tag ebenfalls 170.000 Euro realisierte, hat das Haus eine bislang weniger bekannte Kunstlandschaft erschlossen. Der Danziger Meister gilt als einer der ersten bedeutsamen Maler im damaligen Ostpreußen. Bereits ein Jahr davor, am 8. Dezember 2020, hatte Lempertz einen Rekord für Georges de La Tour – und überhaupt für ein Altmeistergemälde in Deutschland – setzen können, als die „Filette au braisier“ aus der Sammlung Bischof mit 3,6 Millionen Euro zugeschlagen wurde. Jetzt befindet sich das Bild im Louvre Abu Dhabi.
Präsenz ist im Umgang mit Kunst durch nichts zu ersetzten. Trotz aller Erfolge in der Digitalisierung ist auch dies eine Erkenntnis des zweiten Pandemie-Jahrs. So ist überall Hoffnung und Vorfreude auf eine direkte Begegnung mit Kunst zu spüren – etwa auf Kunstmessen wie der Tefaf. Und so endet 2021 leider ähnlich unerfüllt wie das vorangegangene Jahr. Es gibt aber noch eine zweite, diesmal erfreuliche Parallele zum letzten Dezember. Für Januar hat Sotheby’s nämlich erneut einen spektakulären Botticelli angekündigt. Im Rahmen der Masters Week in New York soll ein Schmerzensmann des Meisters aufgerufen werden, voraussichtlich mit einem Schätzwert von 40 Millionen Dollar. Ob Botticelli tatsächlich der alleinigen Autor des Bildes war, ist fraglich – in der Literatur wurde das oft auch anders gesehen. Aber dass die absolut übliche Zusammenarbeit von mehreren Händen an einem Altmeisterbild der Qualität keinen Abbruch tun muss, zeigen ja die genannten Beispiele von Morales beziehungsweise Rubens und Werkstatt bei Nagel, Lempertz und im Dorotheum.