Lange standen bedeutende Gestalterinnen wie Charlotte Perriand oder Ray Eames im Schatten berühmter Männer. Mittlerweile wird die Arbeit von Designerinnen auf dem Kunstmarkt geschätzt, aber der Weg zur gleichberechtigten Wahrnehmung ist noch weit
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18.12.2021
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Erschienen in
Kunst und Auktionen Nr. 18
Putmans italienisches Pendant ist Gae Aulenti (1927–2012). Nur dass Aulenti nicht allzu lange warten musste, um Anerkennung zu erfahren. Ihre erstaunliche Karriere nahm bald nach ihrem Abschluss 1954 am Mailänder Polytechnikum an Fahrt auf. Sie war eine von nur zwei Frauen im Jahrgang gewesen. Spätestens seit ihrer Teilnahme an der für das italienische Nachkriegsdesign wichtigsten Ausstellung „Italy. The New Domestic Landscape“ 1972 im New Yorker Museum of Modern Art stand Aulenti dann in einer Reihe mit ihren männlichen Kollegen Ettore Sottsass, Joe Colombo, Achille Castiglioni und Mario Bellini. Da hatte sie längst ihre weltberühmte Schreibtischlampe „Pipistrello“ entworfen (Hersteller: Martinelli Luce, 1965). Aulentis alle kreativen Sparten (Architektur, Bühnenbild, Malerei, Grafik, Industriedesign, Literatur) abdeckendes Œuvre umfasst mehr als 700 Einzelwerke. Dazu gehören zwei prestigereiche Architekturaufgaben in Paris: die Umgestaltung des Bahnhofs Gare d’Orsay in das Musée d’Orsay (1980–1986) und – parallel dazu – die Gestaltung des Musée National d’Art Moderne im Centre Pompidou (1982–1985). 2012 erhielt sie die Goldmedaille der Mailänder Triennale für ihr Lebenswerk.
Seit ein paar Jahren erzielen Aulentis ausgefallene Entwürfe vierstellige Zuschläge – etwa die längst zum Klassiker des italienischen Designs avancierte Tischlampe „Ruspa“ aus Kunststoff von 1969 (Hersteller: Martinelli Luce), die am 6. Oktober bei einer Online-Auktion des Dorotheums 2000 Euro einbrachte. Und in der Online-Auktion des Hauses vom 10. Mai war ein Bieter bereit, 3200 Euro für den Esstisch „Tour“, eine Variante ihres berühmten Couchtischs „Tavolo con Ruote“ aufzubringen. Am 12. Oktober wurden drei Regale und eine Kommode der Serie „Eco“ (1968) bei Quittenbaum angeboten (Lose 180, 181) – die allerdings in den Nachverkauf gingen.
Ungleich komplizierter verlief die Laufbahn der Designerin Greta von Nessen (1898–1975), die in den Zwanzigerjahren eine Ausbildung an der Schule für industrielle Künste in Stockholm absolviert hatte. Wie bei vielen Frauen ihrer Generation bot sich für sie erst mit der Heirat eine Chance, im Beruf Fuß zu fassen. Ihr Mann Walter von Nessen (1889–1943) stammte aus Berlin und hatte dort die Kunstgewerbeschule unter Bruno Paul besucht. Die schlechte wirtschaftliche Situation Deutschlands nach dem Ersten Weltkrieg veranlasste das Paar dann, in die USA auszuwandern. Zunächst arbeitete Greta von Nessen unauffällig an der Seite ihres Mannes im gemeinsamen Designbüro in Manhattan, das sich schnell mit Art-déco-Tischlampen, zunehmend aber auch mit Entwürfen hochmoderner, meist schwenkbarer Lampen einen Namen machte.
1943 starb Walter von Nessen. Zwei Jahre später beschloss Greta von Nessen, die Firma „Nessen Studio, Inc.“ weiterzubetreiben. Sie nahm die Produktion zahlreicher Entwürfe des Unternehmens wieder auf und führte auf Basis vorhandenen Formideen neue, eigene Designs ein. Ihre berühmteste Lampe – „Anywhere“ von 1951 – besteht aus drei Grundelementen: einem pilzförmigen, emaillierten Metallschirm, einem Lampengehäuse und einem gebogenen Metallsockel. Schirm und Gehäuse sind schwenkbar, sodass das Licht gelenkt werden kann. Der Name „Anywhere“ ist Programm: Das Objekt kann auf einem (Schreib-)Tisch stehen, als Wandleuchte montiert oder von der Decke abgehängt werden. Der Entwurf wurde in verschiedenen Farben angeboten und war 1952 eine von 225 Exponaten der Ausstellung „Good Design“ im MoMA. Zuletzt erreichte ein Paar dieser Leuchten bei Wright in Chicago 1300 Dollar.
„Ein binäres Geschlechterverständnis – zumal eines, das Begabung oder Kreativität mit dem Geschlecht in Verbindung bringt – ist längst Vergangenheit“, heißt es in der eingangs erwähnten Ausstellung über „Frauen im Design“. Heutzutage üben Designerinnen ihren Beruf ganz selbstverständlich aus – die Hälfte aller Studierenden ist weiblich. Der Weg dorthin war aber lang. Und für den Kunsthandel gilt nach wie vor: Aufnahme finden nur wenige Designerinnen.