Michaelina Wautier

Enigmatische Malerin

Die flämische Figurenmalerin Michaelina Wautier stieß lange Zeit auf wenig Interesse. Das hat sich mittlerweile geändert – und auch der Auktionsmarkt für ihr qualitätvolles altmeisterliches Werk ist erwacht

Von Michael Lassmann
28.01.2022
/ Erschienen in Kunst und Auktionen Nr. 20

„Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“ – diese irrtümlich Karl Valentin zugeschriebene Binse gilt doppelt in der Altmeister-Forschung: Im Nebel einer häufig mageren Quellenlage, einer ebenso oft nur begrenzten Anzahl gesicherter Werke sowie nur unter großem Aufwand zu korrigierender Fehlzuschreibungen gerät wissenschaftliche Neugier schnell auf unwegsames Gelände und garantiert am Ende oft nicht einmal karrierefördernde Lorbeeren. Solche erwartbaren Widrigkeiten haben möglicherweise dazu beigetragen, dass man auch das Schaffen der flämischen Figurenmalerin Michaelina Wautier (Mons 1604–1689 Brüssel) lange Zeit lieber nicht so genau unter die Lupe nehmen mochte. Die belgische Kunsthistorikerin Katelijne Van der Stighelen forschte zwar bereits seit mehr als einem Vierteljahrhundert zum Werk ihrer Landsmännin, doch die von ihr unter dem griffigen Titel „Michaelina Wautier. Baroque’s Leading Lady“ kuratierte Ausstellung im Antwerpener MAS (Museum aan de Stroom) konnte bezeichnenderweise erst im Herbst 2018 gezeigt werden.

Nachdem über viele Jahre nicht ein einziges Ölgemälde auf den Sekundärmarkt gelangt war, hatten in freudiger Erwartung einer Aufwertung durch die projektierte Werkschau – die erste monografische Darstellung über die Künstlerin überhaupt – wie von Zauberhand seit 2016 bereits drei Gemälde auf Auktionen jeweils knapp unter 400.000 Euro abgeschlossen. Damit war noch im Vorfeld der im Ausstellungsmotto behauptete Anspruch korrespondierend auch durch nüchterne Verkaufszahlen unterfüttert. Ob dem Handel weiterhin entsprechende Qualitäten zugeführt werden können, bleibt indessen noch abzuwarten, denn derzeit gelten lediglich rund 30 Gemälde Wautiers als gesichert. Selbst diese bescheidene Zahl verdankt sich dem Umstand, dass der Malerin endlich auch Arbeiten zugerechnet werden, die man zuvor mangels Durchblick im Katalog prominenterer Zeitgenossen untergebracht hatte. Ausgerechnet für ein in ihrem Schaffen zentrales Selbstbildnis, das heute zu ihren bekanntesten Werken zählt, hatte man lange Artemisia Gentileschi in Anspruch genommen; für alles, was darüber hinaus nicht unterzubringen war, durften etwa ihr Bruder Charles, mit dem Wautier in Brüssel ein Atelier teilte, ferner der in Antwerpen tätige Thomas Bosschaert Willeboirts oder der Porträt- und Historienmaler Jacob I. van Oost aus Brügge einspringen; wenigstens stellte deren Œuvre als Zwischenablage eine einleuchtendere Wahl dar.

Mit Ausnahme der Gentileschi erzielt auf dem heutigen Markt keiner von ihnen ähnlich gute Zahlen. Das sollte Motivation genug sein, bisher nicht in Zweifel gezogene Zuschreibungen nochmals eingehend zu überdenken. Wer sucht, findet in der Regel auch, und so äußerte der Leiter des Antwerpener Rubenshuis, das die Ausstellung von 2018 in Kooperation mit dem MAS realisierte, schon im Vorfeld seine Zuversicht, dass „von jetzt an viele weitere Arbeiten auftauchen werden“. Nachdem der Rang Wautiers als bedeutende Vertreterin des flämischen Barock endlich festgeschrieben ist, dürfte er mit seiner Prognose sogar recht behalten.

Die gesteigerte Aufmerksamkeit, die der enigmatischen Malerin durch die Wissenschaft plötzlich zuteilwird, konnte unsere lückenhafte Kenntnis ihrer Biografie bislang allerdings nur eingeschränkt erweitern. Dass sie sich mit Berufswahl und Lebensentwurf über gesellschaftliche Konventionen hinwegsetzte, wird als Indiz für ihren privilegierten familiären Hintergrund gewertet. Es gibt jedenfalls keinen Hinweis darauf, dass sie einer Künstlerfamilie entstammte, was ihre für die damalige Zeit ungewöhnliche Entscheidung für eine Karriere als Malerin hinreichend hätte erklären können. Auch in der Vielseitigkeit ihrer Themenwahl, die Blumenstück, Porträt, Genre, religiöse und mythologische Historie umfasste, wich sie von der für ihre Kolleginnen sonst typischen Spezialisierung auf das Stilllebenfach ab. Mit ihrer vielfigurigen, schon in ihren monumentalen Abmessungen als Chef d’Œuvre herausgehobenen Historie „Triumph des Bacchus“ provozierte sie nicht nur durch ihre unschicklich detaillierte Kenntnis der männlichen Physiognomie, sondern auch durch ein integriertes Selbstporträt als anscheinend noch halbwegs nüchterne Bacchantin, deren teilweise entblößte Brust ihre zur Schau getragene Zurückhaltung allerdings Lügen straft.

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