Die flämische Figurenmalerin Michaelina Wautier stieß lange Zeit auf wenig Interesse. Das hat sich mittlerweile geändert – und auch der Auktionsmarkt für ihr qualitätvolles altmeisterliches Werk ist erwacht
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28.01.2022
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Erschienen in
Kunst und Auktionen Nr. 20
Erwartungsgemäß ist man versucht, Wautiers jedes übliche Dekorum außer Acht lassende Selbstinszenierung als Aufbegehren einer Intellektuellen gegen tradierte Frauenrollen zu deuten, wie auch ihre oft unkonventionellen Bildlösungen gern ihrem innovativen Künstlertemperament zugeschrieben werden. Gerade diese Qualität könnte allerdings ebenso auf autodidaktische Anfänge hindeuten; alternativ wird, unter Verweis auf den augenfälligen Einfluss römischer Caravaggisten, eine Ausbildung in Italien vorgeschlagen, ebenso könnte sie ihr Handwerk im Atelier ihres Bruders erlernt haben. Ihm war sie 1645 nach Brüssel gefolgt, wo sie mit ihm bis zu ihrem Tod lebte. Und noch etwas gibt Rätsel auf: Ihr frühestes gesichertes Werk hätte Wautier der Datierung zufolge erst als fast 40-Jährige gemalt, während Van der Stighelen als mutmaßlich letzte Arbeit ein Gemälde von 1659 erwähnt; demnach hätte ihre künstlerische Tätigkeit bereits 30 Jahre vor ihrem Tod geendet, und auch die ohnehin spärlichen Daten zur Biografie des Bruders dünnen sich etwa ab diesem Zeitpunkt aus. Dass Künstler neben ihrem Werkstattbetrieb über weitere Erwerbsquellen verfügten, war damals auch in den südlichen Niederlanden nicht ungewöhnlich; so handelten die Geschwister Wautier angeblich nebenher mit Immobilien, und denkbar wäre, dass dieses Geschäft wenigstens Michaelina irgendwann keine Zeit mehr ließ, weiterhin als Malerin zu arbeiten.
Angesichts ihres unter diesen Umständen erklärbar schmalen Œuvres war die Offerte bislang erstaunlich großzügig. Ein Dutzend Gemälde gelangten seit der Jahrtausendwende auf den Auktionsmarkt, elf davon allein in den letzten fünf Jahren. Nur zwei Lose wurden zurückgewiesen. Aus dem Stand realisierte Koller, Zürich, im März 2016 für ein Brustbild des „Martino Martini, jesuitischer Missionar in China“ 400.000 Franken, das damit die Taxe von 7000 Franken um ein Vielfaches multiplizierte. 13 Jahre zuvor war am gleichen Ort der letzte und mit 45.000 Franken bis dahin auch höchste Wert ermittelt worden. Im April 2017 blieb bei Christie’s New York ein auf 70.000 Dollar geschätztes „Halbporträt einer Dame“ erst beim Sechsfachen der Taxe stehen. Aus rheinländischem Privatbesitz stammte das anekdotische Kindermotiv „Jeder nach seinem Geschmack“, das im Mai 2018 bei Van Ham, Köln, für 380.000 Euro vermittelt wurde (Taxe 60.000 Euro). Alle drei genannten Gemälde wurden später in der Antwerpener Ausstellung gezeigt. Im Mai 2019 erzielte ein weiteres Spitzenwerk, als anonyme Arbeit der „Haarlemer Schule“ eingestuft und als „Pfeife rauchender junger Mann“ in der Antwerpener Schau endgültig als Werk Wautiers bestätigt, bei Christie’s New York 620.000 Dollar und damit das bislang höchste Ergebnis für eines ihrer Werke überhaupt! Sechs Monate später realisierte das anmutige „Brustbild einer Heiligen“ in der Pariser Filiale 110.000 Euro. Ebenso hoch bewertet wurde im November dieses Jahres bei Ansorena, Madrid, ein Porträt der britischen „Princess Royal“ und Ehefrau Wilhelms II. von Oranien, Maria Henrietta Stuart. Zuvor im Juli war bei Christie’s London der „Kopf eines Knaben“ von 60.000 auf 320.000 Pfund gesteigert worden.
Angesichts des schmalen Œuvres war die Offerte mit elf Losen erstaunlich großzügig, wobei Wautiers Gemälde erst seit 2016 regelmäßig auf Auktionen gehandelt werden.
Als Treiber für die aktuelle Marktentwicklung wirkte mit Sicherheit die Amsterdamer Ausstellung.
Mit nur zwei Ausnahmen konnten alle Lose vermittelt werden; fünf von ihnen erzielten Preise im mittleren sechsstelligen Bereich.
Vorlieben der Käufer hinsichtlich Sujet und Datierung haben sich noch nicht herausgebildet.
„Michaelina Wautier 1604–1689“,
Ausstellungskatalog,
hrsg. v. Katlijne Van der Stighelen,
Antwerpen 2018