Botticelli-Gemälde bei Sotheby's

Mit tiefer Einfühlung

Sotheby’s startet in New York mit einem spektakulären Gemälde des Renaissancekünstlers Sandro Botticelli ins neue Auktionsjahr

Von Angelika Storm-Rusche
13.01.2022
/ Erschienen in Kunst und Auktionen Nr. 1

Ja, es klingt überraschend, dass ausgerechnet Sandro Botticelli (1445–1510), der Meister der „Geburt der Venus“ und der „Primavera“, als glühender Anhänger des Dominikaners Girolamo Savonarola, der gegen den Luxus und die losen Sitten der Stadt Florenz eiferte, das Malen vernachlässigt, eigentlich sogar aufgegeben haben soll. Unter dem Einfluss dieses religiösen Fanatikers sei Botticelli verarmt und habe nur durch die Unterstützung des Lorenzo de’ Medici und einiger Freunde überleben können. Diese in den „Vite“ von Giorgio Vasari 1550 in die Welt gesetzte biografische Überlieferung hielt sich über die Jahrhunderte, ist jedoch nach neueren Forschungen über den Florentiner Maler ins Wanken geraten, sodass durchaus von einem Spätwerk mit weiteren Bildschöpfungen die Rede sein kann.

Zu ihnen zählt die Tafel „Der Schmerzensmann“, die Sotheby’s als „The Man of Sorrows“ unter den Altmeister-Werken Ende Januar in New York bei 40 Millionen Dollar aufrufen wird – kaum zu glauben, denn es ist gerade mal ein Jahr her, dass an gleicher Stelle Botticellis „Junger Mann mit Medaillon“ zu einem Rekordpreis von 80 Millionen Dollar zugeschlagen wurde. Botticellis Wahl des Schmerzensmanns, dieses speziellen, tief religiösen Themas mag dann doch mit Savonarolas radikalen Predigten eines Gottesstaats mit Christus als König von Florenz zu tun haben, nachdem die Medici 1494 aus der Stadt vertrieben worden waren. Immerhin herrschte damals ein finsteres religiöses Klima in Florenz.

Botticelli Sothebys New York
Unter den Farbschichten von Botticellis Schmerzensmann, den Sotheby’s Ende Januar bei 40 Millionen Dollar zum Aufruf bringt, zeigt sich eine weitere, später aufgegebene Komposition. Das ergab eine jüngst abgeschlossene technische Untersuchung des Auktionshauses. Auf dem Infrarotbild zu erkennen ist eine sogenannte Glykophilusa, eine Gottesmutter, die das Christuskind innig liebkost. © Sotheby’s, New York

Das Urbild des Schmerzensmanns wird in einer winzigen, um 1300 in Byzanz entstandenen Mosaikikone gesehen, die gegen Ende des 14. Jahrhunderts nach Santa Croce in Gerusalemme in Rom gelangte. Sie zeigt Christus bärtig und mit Kreuznimbus als unbekleidete Halbfigur, mit zur rechten Seite geneigtem Kopf, vor dem Leib gekreuzten Händen und sichtbaren Wundmalen. Seitdem wurde der Schmerzensmann („Imago Pietatis“) – durch den Kupferstich von Israhel van Meckenem auch diesseits der Alpen bekannt gemacht – immer wieder dargestellt und mehrfach abgewandelt. In Italien hat ihn vor Botticelli beispielsweise Fra Filippo Lippi um 1430 gemalt, aufrecht in seinem Sarkophag stehend, mit ausgebreiteten Händen; Marco Zeppo erweiterte 1471 dieses Motiv zu einem „Schmerzensmann, von klagenden Engeln gehalten“. Gemeinsam ist all diesen Bildern die doppelte Wesenheit Christi: am Kreuz als Mensch gestorben, der die Wundmale vorzeigt; auferstanden und lebend als Gott. Dabei geht es also auch um das Dogma der Zwei-Naturen-Lehre: Mensch und Gott in einer Gestalt. Dieser Christus appelliert an das Mitgefühl des Betrachters und fordert zu andächtigem, persönlichem Zwiegespräch auf. Gemeinsam ist den Bildern überdies, dass sie kein konkretes biblisches Ereignis aufgreifen, obwohl allein der Begriff des Schmerzensmanns Assoziationen an die Passion Christi weckt.

Israhel van Meckenem Botticelli Sothebys New York
Als Botticelli seinen „Schmerzensmann“ – wohl um 1500 – malte, gab es bereits etliche Vorbilder. Beispielsweise geisterte ein Stich von Israhel van Meckenem durch die Werkstätten. © Wikimedia Commons

Als Botticelli seinen „Schmerzensmann“ – wohl um 1500 – malte, gab es demnach bereits etliche Vorbilder. Auch der Stich von Israhel van Meckenem geisterte durch die Werkstätten. Der Florentiner Maler aber hat sich an keines gehalten, vielmehr seine eigene, eigentlich schon eigenwillige Version geschaffen. Vor allem hat Botticelli seinen Christus gekleidet. Er trägt eine rote Tunika – Rot als Königsfarbe? –, die am Hals von einer Bordüre mit goldenen Lettern zusammengehalten wird. Entziffern lässt sich bruchstückhaft: „(CHR)ISTO JESUNAZAR ENOR(EX)“, wobei die erste und die letzte Buchstabengruppe vom auf die Schulter fallenden Haar Christi verdeckt und das „Z“ verdreht ist. Ein solches Gewand mit juwelenbesetzter Bordüre taucht sonst – ohne Schriftzug – auf dem Bildtypus „Bildnis Christi“ auf, der auch als „Heiliges Antlitz“ bekannt ist. Dies aber beschränkt sich auf den Brustausschnitt und erscheint wie Botticellis „Schmerzensmann“ vor neutralem dunklem Grund. Christi Arme und Handgelenke sind mit Stricken gefesselt, was weder dem Urbild noch den nachfolgenden Versionen zu eigen ist und aus der Ikonografie des „Ecce homo“ stammt. Mit Schmutz an den Fingernägeln hat Botticelli eine überraschend realistische Note ins Bild gebracht. Auf beiden Handrücken zeigen sich die Spuren der Kreuznägel. Die linke Hand greift mit Zeige-, Mittel- und Ringfinger in eine offene Gewandfalte. Darunter lässt sich der Lanzenstich erahnen, der Christus am Kreuz zugefügt wurde, um sich seines Todes zu vergewissern. Was für ein Kunstgriff! Offenbar ist diese zaghafte, subtile Geste eine Invention des Malers, als scheue er sich selbst, die Wunde zu berühren.

Nächste Seite