Botticelli-Gemälde bei Sotheby's

Mit tiefer Einfühlung

Sotheby’s startet in New York mit einem spektakulären Gemälde des Renaissancekünstlers Sandro Botticelli ins neue Auktionsjahr

Von Angelika Storm-Rusche
13.01.2022
/ Erschienen in Kunst und Auktionen Nr. 1

Eine solche Ehrfurcht mag in der tieferen Bedeutung der „Imago Pietatis“, aber auch in dem Porträtcharakter seines Christusbilds begründet liegen, der dem Gemälde zweifellos innewohnt und seine suggestive Wirkung ausmacht. Ebenso gewiss tragen die strenge Frontalität des schmalen Gesichts, wie es auch den „Jungen Mann mit Medaillon“ auszeichnet, und der offene, den Betrachter – im doppelten Wortsinn – treffende Blick dazu bei. Damit berührt Botticelli den auch aus der Ostkirche hergeleiteten Typus der legendenumwobenen „Vera Icon“. Hier kommt das ebenfalls suggestive Selbstbildnis Dürers von 1500 in Erinnerung, das ebenfalls im Sinn der „Vera Icon“ oder der „Imitatio Christi“ interpretiert worden ist.

Rätselhaft bleibt der sanft geöffnete Mund des „Schmerzensmanns“. Man könnte meinen, er wolle zu sprechen ansetzen. Botticelli wird für sein „Heiliges Antlitz“ ein ihm vertrautes Modell gewählt haben. Es muss ein junger Mann mit mäßigem Bartwuchs und jugendlich prachtvollem goldenen Haar gewesen sein, während der Schmerzensmann meist dunkelhaarig und vollbärtig ist. Die Dornenkrone, die dem Urbild und dem das Motiv verbreitenden Kupferstich von Israhel van Meckenem noch fehlt, umgreift die Stirn und das gescheitelte Haar von Botticellis „Schmerzensmann“. Der Maler hat auf expressiv blutige Verletzungen durch die Dornen in der Stirn weitgehend verzichtet, wie man sie insbesondere auf nordalpinen Christus-Bildern antrifft. Solche effektvoll zur Schau getragene Grausamkeit wird seiner Auffassung von göttlicher Schönheit entgegengestanden haben.

Botticelli Sothebys New York Auktion Detail
Schwebende Engel umkreisen das Haupt Christi wie ein Heiligenschein. Sie tragen die Marterwerkzeuge – Symbole der Passion Christi von der Gefangennahme bis zur Kreuzigung. © Sotheby’s, New York

Zwar findet man auch sonst Christus als Schmerzensmann, umgeben von den sogenannten Arma Christi. Botticelli aber bringt diese Leidenswerkzeuge auf ungewöhnlich erfindungsreiche, fast symbolistische Weise ins Bild. Ein Reigen schwebender Engel umkreist das Haupt Christi wie ein Heiligenschein. Merkwürdig, dass er die Engel in Grisaille gemalt hat, einer Skulptur imitierenden Technik, die sie hier als Lichtgestalten vor dem dunklen Bildgrund erscheinen lässt. Gleichermaßen geflügelt und in der Art von Botticelli-Figuren gewandet, tragen sie die Marterwerkzeuge, Symbole der Passion von der Gefangennahme bis zur Kreuzigung: die zum Kreuz führende Leiter, die Geißel, die Lanze, das Schweißtuch, die drei Kreuznägel, die Geißelsäule, die Nagelzange und den Essigschwamm. Im Scheitelpunkt dieser antithetischen „Inszenierung“ erhebt sich vor einem knienden Engel schließlich das Kreuz, zentrales Sinnbild der Passionsgeschichte.

Sandro Botticelli hat seinen „Schmerzensmann“ zu einem Bild ganz verschiedener Qualitäten verdichtet. Darin durchdringen sich einerseits mehrere aus der gängigen Christus-Ikonografie geschöpfte Motive, die um 1500 – wohl auch gefördert durch die in Italien bekannte altniederländische Malerei – besonders emotional ausfallen konnte. Die Rahmen sprengende Nahsicht und der dunkle Hintergrund dienen einer solchen Wirkung. Im hellen, wachen Blick dieses Schmerzensmanns aber dominiert der lebendige Gott. Andererseits hat der Maler das bekannte Thema durch eigene Ideen wie die Gewandfalte über der Seitenwunde und die schwebenden Engel mit den Marterwerkzeugen bereichert. Diese wunderbaren Bildfindungen muss man dem Meister ganz allein zuschreiben – selbst wenn irgendwo ein Werkstattmaler Hand angelegt hätte. Kenntnis und Fantasie haben Botticelli zu einem Andachtsbild von psychologisch tiefer Einfühlung verholfen, die auch etwas über den Maler selbst aussagt. 

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