Mit einem Zehntel vom Gesamtumsatz rangiert die Kunst des 19. Jahrhunderts auf dem Auktionsmarkt knapp vor dem Altmeister-Segment. Umsatztreiber bleiben die französischen Impressionisten
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28.03.2022
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Kunst und Auktionen Nr. 5/22
Das zweite Jahr der Pandemie liegt hinter uns, und wenigstens auf dem Auktionsmarkt ist man endlich wieder rundum zufrieden: Artprice errechnete ein beachtliches Umsatzplus von 60 Prozent gegenüber dem Vorjahr, und sogar die Kunst des 19. Jahrhunderts legte um ein paar Prozentpunkte zu. Angeblich ist sie ein Stiefkind gerade jener Käufer, die besonders gern das expandierende Angebot von Online-Auktionen nutzten – und doch rangierte sie mit einem Zehntel vom großen Kuchen sogar knapp vor dem Altmeister-Segment.
Umsatztreiber blieben dabei vorhersehbar die französischen Impressionisten, die im Warenangebot wieder deutlich besser vertreten waren als noch in den ersten Monaten der Krise. Damals hatten sich Einlieferer vielfach noch abwartend gezeigt und vor allem museale Qualitäten zurückgehalten, um keine finanziellen Risiken einzugehen; ihre Vorsicht erwies sich als unnötig und ist damit Geschichte. Das zeigen auch die Umsätze, die seither wieder mit Claude Monet möglich sind. Nachdem für seine Signatur Werte über vier Millionen qualitätsbedingt vorübergehend außer Sichtweite geraten waren, erwies sich der Mann aus Giverny 2021 mit acht Transaktionen im achtstelligen Bereich und einem Jahresrekord von immerhin 44 Millionen Dollar (bei Sotheby’s New York für seinen „Winkel des Seerosenteichs“ von 1918) erneut als verlässlicher Umsatzbringer. Insgesamt fuhr man mit seinem Namen knapp über 300 Millionen Dollar (brutto) ein.
Ungefähr so viel Geld ließen Käufer gegen Jahresende bei einem vollmundig als „Geschichte des Impressionismus“ deklarierten Prestige-Sale bei Christie’s. „Wer hat gesagt, der Impressionismus sei tot?“, bejubelte The Art Newspaper denn auch die Erfolgsbilanz von 286 Millionen Dollar (reine Hammerpreise), mit der die New Yorker Filiale am 12. November die Versteigerung der Sammlung Cox abschloss. Ernsthaft behauptet hatte das eigentlich niemand, und auch in diesem Fall entschied das außerordentliche Niveau der Offerte darüber, dass der Kassensturz am Ende alle Erwartungen übertraf. Was Edwin Lochridge Cox, ein texanischer Ölmilliardär und laut Kunsthändler Stephane Connery „der feinste Gentleman des Südens“, im Lauf seiner langen Sammlertätigkeit aufgebaut hatte, zählt anerkanntermaßen zu den bedeutendsten Kollektionen impressionistischer Kunst in Privatbesitz. Öffentlich gezeigt wurden seine Schätze zuletzt vor dem Zweiten Weltkrieg; an späteren Erwerbungen erfreute sich der engagierte Philanthrop lieber im privaten Kreis. Mithin waren kaum je zuvor zentrale Werke der Epoche in derart breitem Zusammenhang auf den Auktionsmarkt gelangt, und so hatte man bereits im Vorfeld mit wenigstens rund 180 Millionen Dollar für alle 23 Positionen gerechnet. Doch auch die illustre Provenienz tat verlässlich ihre Wirkung: Es hagelte achtstellige Beträge und mehrere Künstlerrekorde, und am Ende lag man bereits mit den Hammerpreisen für die fünf Top-Lose über dem erhofften Gesamterlös.
Deutlich über Taxe wurden drei Werke Vincent van Goghs abgegeben. Sein Gemälde „Holzhütten zwischen Olivenbäumen und Zypressen“, 1889 in Saint-Rémy-de-Provence entstanden, war mit 40 Millionen veranschlagt, konnte jedoch erst bei 62 Millionen Dollar dem Londoner Kunsthändler Hugo Nathan zugeschlagen werden. An denselben Käufer ging auch die ein Jahr früher datierte Mischtechnik „Getreidehocken“, der dafür 31 statt der geschätzten 20 Millionen investieren musste – der bislang höchste Preis für eine Gouache van Goghs! Im Vergleich fast verzagt nahm sich daneben die Taxe von 5 Millionen für den Kopf eines jungen Mannes mit einer Kornblume im Mund aus, die trotzdem erst bei 40,5 Millionen stehen blieb. Paul Cézannes Blick auf „Die roten Dächer von L’Estaque“ stellte mit einem finalen Gebot von 48 Millionen wenigstens den Preisrekord für seine Landschaftsmotive ein.
Trotz der vorangegangenen Highlights wurde die Versteigerung eines Gemäldes von Gustave Caillebotte mit besonderer Spannung verfolgt. Das 1876 datierte Interieur mit einem „Jungen Mann am Fenster“ zeigt mutmaßlich einen wenig später verstorbenen Bruder des Malers, der allerdings nur als Rückenfigur gegeben ist. Neugier weckte auch die im Katalog nicht genannte Taxe, die sich angeblich im Bereich von 50 Millionen Dollar bewegte; für geringfügig weniger – 46 Millionen – überließ man das Hauptwerk dem Getty-Museum in Los Angeles.