Jahresübersicht 19. Jahrhundert

Ein lebendiger Markt

Mit einem Zehntel vom Gesamtumsatz rangiert die Kunst des 19. Jahrhunderts auf dem Auktionsmarkt knapp vor dem Altmeister-Segment. Umsatztreiber bleiben die französischen Impressionisten

Von Michael Lassmann
28.03.2022
/ Erschienen in Kunst und Auktionen Nr. 5/22

Öffentliches Interesse hatte zuvor auch Carl Molls Gemälde „Weißes Interieur“ von 1905 begleitet. Im Februar bei Freeman Fine Arts in einer Online-Auktion angeboten, zeigte es – ebenfalls nur als Rückenfigur – die passend zur Einrichtung im emanzipatorischen Reformstil gewandete Journalistin Berta Zuckerkandl, die im Wien der Jahrhundertwende eine prominente Rolle im Kultur- und Gesellschaftsleben spielte. Auf 300.000 Dollar und damit bereits deutlich oberhalb des etablierten Preisniveaus für Moll angesetzt, konnte sich der Kosmetik-Erbe Ronald Lauder das Bild für seine „Neue Galerie“ erst beim mehr als 13-Fachen der Taxe sichern (Zuschlag 4 Millionen Dollar).

Der 2019 bei der Londoner Versteigerung von Werken aus der Najd-Sammlung erzielte Spitzenwert von 3,6 Millionen Pfund für Ludwig Deutsch schien eine abermalige Aufwertung für den bereits vorher in Millionenhöhe gehandelten Orientalisten anzubahnen. Was stattdessen folgte, war eine Phase erstaunlich durchwachsener Preise. Bonhams, London, verdoppelte im vergangenen Oktober die Taxe mit dem Höchstgebot von 600.000 Pfund für die einfigurige Komposition „Ruf der Gläubigen“ und schrieb damit den besten Wert seit Deutschs Spitzenjahr.

Markt 19. Jahrhundert
Hans Thomas Allegorie „Einsamkeit“ von 1896 kam im Juni bei Karl & Faber zum Aufruf. Mit einem Hammerpreis von 115.000 Euro gelang für den Maler zum ersten Mal seit 2010 wieder ein sechsstelliges Ergebnis. © Karl & Faber, München

Seit ein Gemälde des polnischen Pferde-, Genre- und Historienmalers Josef von Brandt 2020 erstmals über die Schwelle von 500.000 Euro gehoben wurde, werden auf Auktionen in seinem Heimatland, wo er fast ausschließlich noch gehandelt wird, immer höhere Preise akzeptiert. Erst am 7. Dezember kletterte bei Polswiss, Warschau, ein exotischer „Falkenmarkt“ von 2,8 auf 4 Millionen Złoty (rund 873.000 Euro), nur zwei Tage darauf verbesserte sich beim Warschauer Konkurrenten Desa Unicum ein bunter „Markt in der Gegend von Krakau“ fast um ein Drittel der Taxe auf 3,9 Millionen Złoty (rund 846.000 Euro).

Aus süddeutschem Privatbesitz stammt Hans Thomas Allegorie „Einsamkeit“, die im Juni bei Karl & Faber, München, zum Aufruf kam. Die motivische Anlehnung an den sechzig Jahre früher entstandenen und sicher auch Thoma bekannten „Jüngling am Meeresufer“ von Hippolyte Flandrin ist offensichtlich und als bewusstes Zitat wohl auch intendiert. Mit dem Hammerpreis 115.000 Euro gelang für den Maler zum ersten Mal seit 2010 wieder ein sechsstelliges Ergebnis. Gerechnet hat man mit diesem Erfolg wohl nicht, denn als Schätzpreis waren lediglich 25.000 Euro angegeben. Dass die überraschende Resonanz auf das populäre Motiv, das später auch von prominenten Foto-Künstlern aufgegriffen wurde, dem Markt einen nachhaltigen Impuls vermittelt, ist allerdings wenig wahrscheinlich.

Markt 19. Jahrhundert
Peder Mork Mönstedts Ölgemälde „Flusslandschaft im Spreewald“ von 1912 erzielte am 11. Dezember bei Ketterer 220.000 Euro. © Kettererkunst, München

Obwohl die Bilder Peder Mork Mönstedts unverändert in großer Zahl gehandelt werden – über sechzig waren es allein im letzten Jahr – sind seine intimen Stimmungslandschaften unübersehbar im Aufwind. Das Preisgefüge, in dem sie sich bewegen, hat sich nicht einmal signifikant verändert, doch während früher allenfalls alle Jubeljahre einmal ein Los über die Schwelle von 100.000 Euro gelangte, wurden 2021 gleich drei Werte in diesem Bereich notiert. Über zwei Online- Auktionen konnte Sotheby’s im Juli zuerst eine sommerliche Flusslandschaft und später im Dezember – passend zur Jahreszeit – ein winterliches Gebirgsmotiv aus dem Engadin für jeweils 120.000 Pfund vermitteln. Ketterer, München, landete gegen Jahresende sogar den bisherigen Künstlerrekord für den Dänen: Eine nur mit 20.000 Euro bewertete „Flusslandschaft im Spreewald“ blieb dort überraschend erst beim Elffachen der Taxe stehen.

Aufhorchen ließ vor knapp zwei Jahren der plötzliche Kursanstieg für Karl Hagemeister. Der havelländische Landschafter, der zuvor bereits vereinzelt Preise über 50.000 Euro geholt hatte, war – ebenfalls bei Ketterer – erstmals mehrfach über die Schwelle von 100.000 Euro gelangt. Mittlerweile scheint sich der Markt wieder ein wenig beruhigt zu haben; angesichts der weiterhin attraktiven Offerte bietet sich jedoch keine einleuchtende Erklärung für die rückläufige Preisentwicklung. Ketterer, der Macher der Erfolgsserie von 2020, realisierte für einen „Sanddornstrauch an der Meeresküste“ auch im letzten Jahr wieder den Bestwert. Der jedoch betrug mit 84.000 Euro sogar weniger als die Hälfte des Preisrekords aus dem Vorjahr. Im April war bei Quentin, Berlin, eine noch vor der Jahrhundertwende entstandene „Märkische Uferlandschaft“ am Schwielowsee bereits bei 40.000 Euro stehengeblieben.

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