Ludwig van Beethoven

Die dunkle Seite des Mondes

Ein Beethoven-Autograf, das J. A. Stargardt in Berlin zur Auktion bringt, offenbart die reale Person hinter dem Denkmal europäischer Musikgeschichte 

Von Stefan Weixler
01.04.2022
/ Erschienen in Kunst und Auktionen Nr. 5/22

„Fürst, was Sie sind, sind Sie durch Zufall und Geburt, was ich bin, bin ich durch mich“, soll Ludwig van Beethoven 1806 Karl Lichnowsky ins Gesicht gesagt haben. Und: „Fürsten wird es noch Tausende geben; Beethoven gibt’s nur einen.“ Wo ein Haydn noch gekatzbuckelt, ein Mozart als „Wunderkind Wolferl“ den Klavieraffen gegeben hatte – um im Erwachsenenalter dann in die Rolle des Hofnarren abzudriften, „wie eine Katze zu miauen und wie ein ausgelassener Junge Purzelbäume zu schlagen“ –, da drehte Beethoven nun also den Spieß um. Er ließ den Adel sogar im wahrsten Sinne des Wortes Spalier stehen, sagt eine berühmte Anekdote: Als Beethoven und Goethe 1812 in Teplitz spazierten, kam ihnen offenbar Maria Ludovika von Österreich mit ihrer Entourage entgegen. Der Dichter machte sogleich am Wegrand den Diener. Der Musiker aber hielt so lange Kurs, bis sich der Tross vor ihm teilte.

Beethoven Gemälde Autograf Stargardt
Während ein serviler Goethe Maria Ludovika von Österreich und ihrer Entourage die Ehre erweist, bahnt sich Beethoven ungerührt den Weg durch die Menge. Carl Röhling hat diesen „Vorfall von Teplitz“, wie ihn Bettina von Arnim überlieferte, Ende des 19. Jahrhunderts ins Bild gesetzt. © Wikimedia Commons

Nicht zuletzt aufgrund solcher Heldengeschichten im Dienste der sozialen Gleichstellung hat das erstarkende Bürgertum des 19. Jahrhunderts den Komponisten im Handumdrehen zu seinem Idol erklärt. Auch dass Beethoven sein Œuvre mit großer Resilienz dem Leben abgetrotzt hatte, entsprach dem Ideal der heraufziehenden, in zunehmendem Maße von Arbeits- und Leistungsethos geprägten Zeit. Denn er war ja bekanntlich schon mit Ende zwanzig schwerhörig geworden, ab 1816/18 praktisch taub. Und so wurden seine „Liberté – Égalité – Fraternité“ verströmenden Werke, die quasi als musikalische Leuchtfeuer des gesellschaftlichen Erneuerungsprozesses angesehen wurden, bald europaweit gefeiert: Ganz im Sinne von Beethovens Diktum „Musik ist höhere Offenbarung als alle Weisheit und Philosophie“.

Genährt durch Musikerkollegen, Schriftsteller und Bildkünstler, entstand auf diesem Boden dann irgendwann der Topos vom gottgleichen Beethoven. Man sah in ihm nun gewissermaßen einen Apoll im Zeusgewand, der sich im heiligen Zorn für die größere Sache gegen sämtliche Widerstände durchzusetzen imstande war. Und als solcher wurde Beethoven denn auch fast jeder „großen“ Sache vor den Karren gespannt. In Deutschland sowieso, wo 1942 mit unerträglichem Zynismus unter Furtwängler in Berlin die Alle-Menschen-werden-Brüder-Neunte zu Hitlers Geburtstag zelebriert wurde – während das Land einen Mehrfrontenkrieg in Europa führte, in Konzentrationslagern Völkermord beging. Aber bezeichnenderweise ließen sich in diesen Jahren auch die Alliierten nicht ihren Beethoven nehmen: Die BBC nutzte das Eröffnungsthema der Fünften – die musikalische Entsprechung des Morsecodes „kurz-kurz-kurz-lang“ für den Buchstaben V – sogar als Jingle im Sinne von „Victory over Nazi Germany“. Eine passende Wahl in doppelter Hinsicht, denn Opus 67 wurde explizit „in tyrannos“ komponiert.

Beethoven Max Klinger Denkmal Leipzig
Das späte 19. Jahrhundert betrachtete Beethoven gewissermaßen als einen Apoll im Zeusgewand, der sich im heiligen Zorn für die größere Sache gegen sämtliche Widerstände durchzusetzen imstande war. Max Klinger bediente diese Vorstellungswelt in seinem 1902 fertiggestellten Beethoven-Denkmal. © Wikimedia Commons

Dieser mit reichlich Fantasie großgezogene, historisch sublimierte und weltweit bejubelte Popstar Beethoven lässt fast vergessen, dass es eine reale Person dahinter gab – zumal schon früh so einiges zu deren Vernebelung getan wurde. „Every one has a dark side which he never shows to anybody”, meinte Mark Twain. Doch Beethovens Jünger wollten der Nachwelt lieber eine reine Lichtgestalt präsentieren. Allen voran der langjährige, nach außen hin stets pedantisch genaue Sekretär und erste Biograf Anton Schindler, der dafür sogar Quellen manipulierte (Los 444, Anton Schindler, e. Br. m. U.: „Wenn ich fremde Namen schreibe, so thue ich das stets aufs sorfältigste, damit ja nicht ein Buchstabe anders gelesen werde …“; Taxe 600 Euro). Dass der hehre Beethoven aber doch auch in menschlichen Niederungen zu finden war, zeigt das vielleicht unwürdigste Kapitel seines Lebens – bekannt als Neffentragödie.

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