Ein Beethoven-Autograf, das J. A. Stargardt in Berlin zur Auktion bringt, offenbart die reale Person hinter dem Denkmal europäischer Musikgeschichte
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01.04.2022
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Erschienen in
Kunst und Auktionen Nr. 5/22
Ende 1815 war sein jüngerer Bruder Kaspar nach längerer Krankheit gestorben, der seine Frau Johanna und den gemeinsamen Sohn Karl hinterließ. Um die Sorgerechtsfrage für den gerade mal Neunjährigen war in den Todesstunden des Vaters eine waschechte Posse aufgeführt worden. Abhängig davon, wer Kaspar gerade bequatschte, sollte mal Ludwig die Alleinverantwortung für den Jungen tragen, mal in einer Doppelspitze mit Johanna agieren – als ältester männlicher Verwandter war er nach damaligem Recht ohnehin nicht zu übergehen. Das finale Schriftstück sah dann die Teilung der Erziehungsaufgabe vor, mit der Bitte um salomonische Verständigung: „Daher empfehle ich zum Wohl meines Kindes, meiner Gattin Nachgiebigkeit, meinem Bruder aber mehr Mäßigung“, waren Kaspars letzte Worte.
Doch Beethovens Urteil über die Schwägerin stand fest: „Zur Intrigue gebohren, ausgelernt in Betrug, Meisterin in allen Künsten der Verstellung“ – Johanna war 1811 nach einer in der Tat spektakulär eingefädelten Unterschlagung eines 20.000-Gulden-Colliers zu Kerkerhaft verurteilt worden. Und so sah sich der Komponist als Retter des Jungen, brach einen Rechtsstreit vom Zaun, beschuldigte Johanna der Prostitution („Diese Nacht ist diese Königin der Nacht bis 3 uhr auf dem künstlerball gewesen nicht allein mit ihrer Verstandesblöße sondern auch mit ihrer körperlichen – für 20 fl., hat man sich in die Ohren gesagt, daß sie – zu haben – sei“) – und wurde im Juli 1820 tatsächlich zum alleinigen Vormund bestimmt. Zig Gerichtsetappen später. Gesiegt hatte er nicht wirklich in dieser Schlammschlacht – der große Verlierer war das Kind.
Zwar war Beethoven fortan stets willens, Vater zu sein („K. betrachtest du als dein eigenes Kind“). Bestrebt, den „Sohn“ zu fördern („Der Knabe muß Künstler werden oder Gelehrter“). Aber unfähig, von seinen Plänen für ihn abzulassen – und grenzenlos misstrauisch. Überzeugt, Karl vernachlässige zugunsten der Dolce Vita seine Ausbildung am Polytechnikum, spionierte er ihm ständig hinterher. Oder ließ ihn bespitzeln, wie ein Brief von Mitte Februar 1826 an den befreundeten Geiger Karl Holz zeigt – der Junge war damals immerhin neunzehneinhalb. Das Autograf, das in der kommenden Auktion von J. A. Stargardt ab 30.000 Euro beboten werden kann, wurde möglicherweise im Kontext eines Faschingsballs verfasst, auf den sich Beethoven zunächst selbst inkognito hatte einschmuggeln wollen: „Ich finde es viel beßer“, steht da nun zu lesen, „wenn sie jemand ausfindig machen, welcher die Spur K. verfolgt (…) – was es nur immer kostet, werde ich gerne erstatten, nur muß die Sache schlau angelegt werden.“
Am 30. Juli des Jahres unternahm Karl einen Suizidversuch. Um „der Gefangenschaft“ zu entfliehen, wie er später der Polizei zu Protokoll gab. Kein Jahr danach lag Beethoven im Sterben: „Mein Nefffe Karle“, notierte er zittrig, „soll alleini-Erbe seyn …“ Der hatte sich gemäß einem lang gehegten Wunsch Anfang 1827 als Kadett dem 8. Infanterieregiment in Iglau angeschlossen. Und so er erhielt er erst mit Verspätung die Nachricht vom Tod des Onkels am 26. März, verpasste auch die Beerdigung. Aber es scheint – zumindest sprechen viele Quellen dafür –, als sei in den letzten, existenziellen Monaten doch noch so etwas wie Nähe zwischen den beiden entstanden. Karls letzter Brief an Beethoven endet beispielsweise mit „Dein dich liebender Sohn“.
J. A. Stargardt Berlin,
Auktion 5. April,
Besichtigung 28. bis 31. März, 4. April