Venedig in der Pinakothek der Moderne

Zauberhafte Blätter

Eine Ausstellung in der Münchner Pinakothek der Moderne vereint venezianische Druckgrafik und Zeichnungen aus vier Jahrhunderten – darunter Meisterblätter von Tintoretto, Tizian und El Greco

Von Gloria Ehret
11.03.2022

Zu den Highlights der Schau gehören Tintorettos Studien nach dem Porträtkopf des sogenannten „Vitellius“ mit schwarzem Stift, weißer Kreide und grünlich aquarelliertem Hintergrund auf blauem Papier. Die antike Büste aus der hadrianischen Kaiserzeit gelangte 1523 nach Venedig, wo sie im Dogenpalast ausgestellt war und von vielen namhaften Künstlern gezeichnet wurde. Allein von Tintoretto oder einem seiner Schüler haben sich an die 30 erhalten. Kaum glaublich, wie er dem Marmorbildnis Leben eingehaucht hat; wie es ihm gelungen ist, die leeren Augen zum Sprechen zu bringen.

Ebenso großartig ist El Grecos um 1570 gezeichnete Variation zu Michelangelos Skulptur des „Giorno“ am Medici-Grabmal in Florenz. Auch der Kreter zeichnete mit schwarzem Stift und weißer Höhung auf blaues Papier und sprengt mit der vitalen Kraft der Figur im lichthaltigen Sfumato gleichsam den Bildrahmen, der allerdings von Giorgio Vasari, damals Besitzer des Blattes, angestückt und für dessen „Libro dei Disegni“ aufbereitet worden ist. Es befand sich, wie viele derzeit zu bestaunende Graphiken, in der Mannheimer Sammlung von Kurfürst Carl Theodor, bevor diese nach München in die Staatliche Graphische Sammlung kam. Zwei recht unterschiedliche Zeichnungen stammen von Paolo Veronese. Sein Männerporträt mit warmem, offenem Blick um 1500 könnte ein „Bildnis des Daniele Barbaro“ sein, des Patriarchen von Aquileia, der mit dem Künstler befreundet war. Die autonome Zeichnung in schwarzer Kreide, weiß gehöht auf getöntem Papier berührt durch ihre menschliche Wärme. Skizzenhafte Entwürfe zu zwei Kompositionen aus der Geschichte Venedigs zeigen hingegen lebhaft agierende Figurengruppen nebst angedeuteten Architekturdetails in brauner Feder.

Von Jacopo Amigoni, der 1682 in Neapel geboren wurde, 1752 in Madrid starb, als Freskant in Nymphenburg, Schleißheim und Kloster Ottobeuren tätig war und als ein Hauptvertreter des venezianischen Rokoko gilt, ist eine Ölfarbenskizze mit „Abigail vor David“ um 1725 zusehen, die durch ihre quicklebendige, bildhaft durchgeführte Figur bezaubert. Wie menschlich tief Giovanni Battista Piazzetta Bildnisse erfasste, veranschaulichen zwei Porträtstudie in Kreide zu einem Kleriker und dem Brustbild eines älteren Mannes mit Oberlippenbart und Kappe im Profil. Solche Blätter mit Gesichtern als Ausdrucksträger waren bei Sammlern sehr beliebt. Giovanni Battista Tiepolo bezaubert mit einer Anzahl Blätter, bei denen er alle künstlerischen Register zieht. Hingehauchte lichtdurchflutete Federzeichnungen in Braun verwandeln die tödliche „Kreuzigung des hl. Petrus“ in ein wunderbares Licht-Schatten-Spiel, auch „Der junge Tobias mit dem Erzengel Raphael“ wird zu einer bewegten Lichtkomposition. Auf dem in Venedig so beliebten blauen Papier hat Tiepolo den „Profilkopf eines Mannes mit alpenländischer Kappe“ mit Rötel und weißer Kreide wie eine zeitlose Momentaufnahme eingefangen. Lichtdurchflutet und luftig, und doch szenisch detailliert, hat er die vielfigurige Komposition mit dem „Hl. Augustin und dem Hl. Ludwig von Frankreich, Johannes Evangelist und anderen wohl als Zwischenschritt der Werkgenese für ein 1738 fertiggestelltes Altarbild ausgeführt, das sich heute in London befindet. Giovanni Antonio Guardi wiederum hat das vielfigurige szenenreiche Blatt „Die unterworfenen Provinzen huldigen Venedig“ nach Tintoretto in Feder und Pinsel laviert über schwarzer Kreide als eigenständige Komposition wiedergegeben. Auch seine dramatische Kampfesszene der „Verteidigung von Brescia“ geht auf ein Deckenfresko von Tintoretto zurück. Guardis ebenfalls brauntonige Pinselzeichnung „Verkündigung an Maria“ zählt in ihrem gleichsam entstofflichten Bewegungsstrom in virtuosen lichten Lavierungen zu den Meisterleistungen venezianischer Zeichenkunst, die zu Recht schon von Kurfürst Carl Theodor gesammelt worden ist.

Als autonomes Bravourstück zwischen Zeichnung und Malerei verortet der Kurator und Ausstellungsmacher Kurt Zeitler die bildwürdig ausgeführte Darstellung „Maria salbt Christus die Füße im Hause des Lazarus“ um 1750 von Francesco Fontebasso. Diese „Venezianità“ begeisterte damalige Sammler und betört bis heute. Giovanni Domenico Tiepolo steuert eine voll ausgearbeitete, zutiefst menschlich erfasste „Ruhe auf der Flucht“ um 1750 bei, wieder in milden durchlichteten braunen Tönen mit kräftigen Tuscheschichten und Chiaroscuro-Effekten.

Eine „Gondel mit Liebespaar, einem Musiker und zwei Gondolieri“ in kräftigen bunten Farben um 1600 wird dem Umkreis des Lodewijk Toeput aus Antwerpen zugeschrieben, der in Italien „Il Pozzoserrato“ genannt wurde. Die heiter-amouröse Szene ziert die Einladungskarte zum Besuch der hinreißenden Ausstellung. Man sollte sie nicht versäumen!

Service

Ausstellung

„Venedig. La Serenissima. Zeichnungen und Druckgraphik aus vier Jahrhunderten“,

bis 8. Mai,

Pinakothek der Moderne, München,

pinakothek-der-moderne.de

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