Liebhaber des Gesellschaftskritikers wünschen sich schon lange ein Museum für George Grosz. Jetzt startet es in einer ehemaligen Tankstelle in Berlin und will vernachlässigte Aspekte im Werk des Künstlers beleuchten
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12.05.2022
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Erschienen in
WELTKUNST Nr. 198
In Emigrantenkreisen – Grosz ist als einer der Ersten im März 1933 von den Nazis „ausgebürgert“ worden – grenzt das an Hochverrat. Klaus Mann mokiert sich über den Künstler, er sei „unpolitisch geworden – oder er versucht es doch zu sein. Er zeichnet nicht mehr: Er malt.“ Die literarische US-Moderne stört das nicht. Der experimentelle Schriftsteller William Gaddis will 1947 seinen ersten Romanversuch „Blague“ von Grosz illustrieren lassen: „Er hat die gleiche Vorliebe für Katzen wie ich. Grund genug, ihn zu fragen.“ Grosz selbst bekennt wiederum, dass ihm „insgeheim das amerikanische Mittelstandsideal näherliegt als die teils wirklich, teils scheinverrückte Sonderwelt, in der die froschartigen Größen der sogenannten Avantgarde leben wollen.“ Er lehrt an der New Yorker Art Students League, wo in den Fünfzigern auch Jackson Pollock bei ihm Zeichenunterricht nimmt, obwohl er selbst schon Erfolg hat. Grosz verspottet ihn als „Rorschachtest-Rembrandt“.
Solchen Kreuz- und Querzügen – Harry Graf Kessler stuft seinen guten Bekannten bereits 1919 als „reaktionär und revolutionär, eine Zeiterscheinung“ ein – ist mit nur einer Ausstellung schwer beizukommen. Das wissen auch die Macher des neuen Museums. Deshalb geht die Eröffnungsschau über das Frühwerk ins Detail und verfolgt, welchen Weg der Kunststudent – ausgerüstet mit Kohle, Tuschpinsel und Bleistift – seit seiner Ankunft in Berlin 1912 nimmt: Nach einer eher konventionell skizzierten „Vorstadtgasse“ zeichnet Grosz fast kalligrafisch reduziert das Drama eines „Nächtlichen Überfalls“, schaut voyeuristisch auf einen „Lustmord“ oder porträtiert ganz intim im expressiven Käthe-Kollwitz-Stil eine Tischgesellschaft im Bordell.
Grosz geht also nicht sofort ins vibrierende Zentrum, er stromert zuerst einmal durch die Randbezirke der Metropole, gibt sich mit Bahndämmen und Schrebergärten zufrieden. „Als hätte er Angst vor dem Moloch Berlin“, sagt Jentsch. „Plötzlich, das kann man fast auf den Tag feststellen, fängt ihn diese Stadt ein. Bürger, die da auftauchen, werden zu wüsten Gesellen, zu verdächtigen Typen, zu Schlägern. Da gibt es Aufruhr, da gibt es Mord. Plötzlich ist dieses Berlin mit seiner Brutalität und Realität vorhanden.“
Diese Konfrontation fordert Grosz geradezu heraus. Er schminkt sich – Lippen rot, Gesicht weiß – und residiert so im Straßencafé am Ku’damm, seinem Revier. „Die Leute haben natürlich geglotzt. Und nicht kapiert, dass er der Beobachter ist“, kommentiert Jentsch. Mit dieser Methode entstehen Menschenbilder, Porträts. Keine Karikaturen, dieser Kategorisierung, selbst durch Kunsthistoriker, widerspricht Jentsch vehement. „Das sind ja alles Menschen, die Grosz damals getroffen hat, auf der Straße, in Cafés, bei Empfängen. Das war für ihn das Jagdgebiet, da hat er diese Typen gefunden. Und wenn Sie diese Porträts ansehen: Die gibt es heute alle noch.“ Im selbstzufriedenen Wirtschaftswunderdeutschland auf jeden Fall: Als 1955 in einer Westberliner Buchhandlung, vermutlich dem Kunstantiquariat Gerd Rosen, der neu herausgegebene „Spießer-Spiegel“ von Grosz ausliegt, erstattet eine Passantin Anzeige wegen „Diffamierung des Kurfürstendamms“. Die Polizei schreitet ein, das Schaufenster muss umdekoriert werden. Die Dame wird sich selbst darin erkannt haben.
Im Mai 1959 kehrt Grosz aus den USA nach Berlin zurück. Dabei hat er in einem bissigen Städtevergleich keinen Zweifel an seiner Vorliebe gelassen: „Paris: scheiße ich drauf. Berlin, na schön (Heimat, Sprache! Vergleich wie nirgend anderswo, mag gehen). Rom: Saunest. Petersburg: ekelhaft. Moskau: Proletendorf! New York: die Stadt!!!“ Wenige Wochen später nach der Ankunft wird Grosz in einem Treppenaufgang tot aufgefunden. Bald darauf stirbt auch seine Frau Eva, wegen deren Gesundheitszustand das Paar vor allem nach Berlin zurückgekehrt war.
An die Zeit in Amerika wird die dritte Ausstellung im kleinen Grosz Museum erinnern, sie gilt den 1946 entstandenen „Stick Men“. In dieser Serie großformatiger Gemälde irren „Stockmänner“, ausgehungert dürre Wesen, durch eine verwüstete Welt. Nach dem Atombombenabwurf war das die Warnung vor einer postnuklearen Ära, vor einer nahenden Katastrophe. Daran musste Ralph Jentsch denken, als er im Sommer 2003 bei einem Besuch in Rotterdam die Geschichte dieser von deutschen Bomben verwüsteten Stadt an sich vorbeiziehen ließ. Und er beschloss, in Bildern zu zeigen, was George Grosz nach 1945 mit den Worten zusammenfasste: „Wir haben die Fantasie den Geopolitikern überlassen und den Technokraten. Ich singe noch einmal mein Liedchen für die Lebensnähe, gegen Konstruktionen des Intellekts und Theorien – noch einmal, bevor alles ausgelöscht ist auf der grauen Tafel der nahenden Zeiten, weggewischt von einem blutgetränkten Schwamm.“ Dieser Künstler ist so aktuell, wie er es immer war.