Der Schauspieler Lars Eidinger spielt in Salzburg nicht nur die Rolle des „Jedermann“, er zeigt auch Fotografien in der Leica-Galerie. Statt wie sonst mit dem Handy zog er mit einer Spiegelreflexkamera los. Ein Gespräch über Gut und Böse, Geldautomaten und den diskreten Charme der Morbidität
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19.08.2022
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Erschienen in
Salzburg Spezial
Herr Eidinger, Ihre Ausstellung in der Salzburger Leica-Galerie mit Schwarz-Weiß-Fotografien heißt „Black and White Thinking“. Was wollen Sie mit ihren Bildern erzählen?
Mich interessiert die Bedeutung des Schwarz-Weiß-Denkens, die Tendenz, die Welt in Extremen wahrzunehmen, wie wir es heute verstärkt erleben. Dieses Denkmuster, das man auch als polarisiertes Denken bezeichnet, ist eine kognitive Verzerrung, die uns davon abhält, die Welt so zu sehen, wie sie ist: komplex, nuanciert und voller Zwischentöne. Man kommt auch nicht weit mit moralischen Maßstäben, die zwischen Gut und Böse unterscheiden. Ich denke, dass jeder Mensch aus seinem Wertesystem heraus immer davon ausgeht, das Richtige zu tun. Mit meiner Fotografie will ich diese Widersprüche aufdecken.
Der rauchumwölkte Cowboy auf dem Dach ist ein sehr eindringliches Bild …
Er steht auf dem Dach der Philip-Morris-Fabrik in Berlin-Neukölln und verkörpert beinahe schon sinnbildlich Black and White Thinking. Ich wurde so sozialisiert, dass der Cowboy der Gute ist und der „Indianer“ der Böse. Aber allein die Tatsache, dass man bis heute noch von „Indianern“ spricht, nur weil sich Columbus in Indien wähnte, zeugt von dem Mangel an Bewusstsein, dass es sich genau andersrum verhält. Der Cowboy ist ja der Siedler. Das Lasso verweist darauf, dass er sich Fluchttiere und die Natur Untertan macht. Letztes Jahr habe ich mit Noah Baumbach, dem Regisseur von „Marriage Story“, zusammen mit Adam Driver und Greta Gerwig in Cleveland gedreht. Als im Stadion die „Indians“ spielten, stand unter deren Schriftzug ein weißer Amerikaner, der „God Bless America“ sang: „My Home Sweet Home“. Diese Ignoranz fand ich enorm. Ich versuche, auf diese Phänomene zu verweisen, ohne vordergründig moralisch zu sein.
Ähnlich wie bei dem Schriftzug „Mensch“ auf diesem sehr abweisenden Gebäude?
Das ist die Weißfrauenkirche im Frankfurter Bahnhofsviertel. Die Leuchtbuchstaben stammen vom Kaufhaus Schneider, auf das die RAF 1968 einen Brandanschlag verübte. Der Künstler Mirek Macke hat daraus das Wort „Mensch“ zusammengesetzt, was ich vorher nicht wusste. Genau das interessiert mich an Fotografie: Ein Motiv reizt mich intuitiv, aber erst rückwirkend verstehe ich, warum.
Das Gebäude ist sehr trostlos, mit dem Müll davor und der Absperrung …
Diese Frage stelle ich mir oft: Wer entwirft eigentlich diese Städte für wen? Ich finde es enorm, dass der Mensch es nicht schafft, sich sein eigenes Umfeld so zu gestalten, dass er darin vorkommt. Er konzipiert den urbanen Raum als Entfremdung zu sich selbst. Als ich früher mit der S-Bahn zur Schauspielschule am Potsdamer Platz vorbeigefahren bin, war das Brachland, auf dem man alles hätte bauen können. Was jetzt daraus geworden ist, wirkt wie ein Schildbürgerstreich: Sie bauen ihr Rathaus, vergessen die Fenster und tragen dann das Licht mit Eimern rein.
Zumal nachgewiesen ist, dass gute Architektur einen positiven Effekt auf den Menschen hat. Dennoch werden die meisten Bauten so schnell und billig gemacht, dass sie seelenlos wirken.
Die Seelenlosigkeit ist ja auch ein Thema in der Fotografie – es gibt Völker, die meinen, die Kamera stehle ihnen die Seele. Tatsächlich ist es ein Irrglaube, dass Fotografie das Leben festhält. Vielmehr stellt sie den Tod dar. Der morbide Charme macht ja die Fotografie erst aus – was man festhält, ist vergangen. Das ist wie bei Blumen: Eine Topfpflanze hat als Geste nie die Sinnlichkeit von Schnittblumen, deren Leben bereits vergangen ist.
Die Tristesse urbaner Räume ist ein Leitmotiv Ihrer Fotografien, die dieses Gefühl auf beinahe zärtliche Weise einfangen. Der Obdachlose unter einem aufgeklappten Karton neben dem Geldautomaten ist ein sehr intimes Bild.
Geldautomaten faszinieren mich, weil sie ein Glücksversprechen verkörpern. Der Mann ist dem Reichtum sehr nah, er liegt mit dem Kopf direkt an dem Automaten, von dem ihm nur eine Geheimzahl trennt. Was er benutzt, um sich zu wärmen, ist ein Karton aus dem Warenkreislauf. Und der Schriftzug darauf ähnelt dem auf dem ATM. Er wirkt entmenschlicht, wie eine Mensch-Maschine.