Der Schauspieler Lars Eidinger spielt in Salzburg nicht nur die Rolle des „Jedermann“, er zeigt auch Fotografien in der Leica-Galerie. Statt wie sonst mit dem Handy zog er mit einer Spiegelreflexkamera los. Ein Gespräch über Gut und Böse, Geldautomaten und den diskreten Charme der Morbidität
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19.08.2022
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Erschienen in
Salzburg Spezial
Ganz anders der Mann im „Star Wars“-Kostüm. Er wirkt martialisch, obwohl er auf einem Fahrrad sitzt. Das war offenbar ein sehr spontanes Foto.
Ja, aber bei dieser Kamera muss man alles selber machen und schnell sein. So ist auch die leichte Bewegungsunschärfe entstanden, die dem Bild eine gewisse Dynamik verleiht. Der Mann auf dem Foto befindet sich auf einer friedlichen Fahrraddemo. Aber weil man sonst keine Gesichter sieht, entstehen eigene Interpretationen. Ich bin mit „Star Wars“ großgeworden – für mich Sinnbild für das Kriegsspiel schlechthin, für ein Märchen zwischen Gut und Böse, was aber dann doch nicht so einfach zu trennen ist: Am Ende ist der Vater der Böse.
Ihre Motive haben etwas Beiläufiges und entwickeln eine große Symbolkraft. Fotografieren Sie auch andere, weniger metaphorische Szenen?
Ich mache keine Bilder, die nichts bedeuten – dann fehlt der Impuls, zur Kamera zu greifen. Georg Büchner lässt den Titelhelden in Dantons Tod sagen: „Die Welt ist das Chaos. Das Nichts ist der zu gebärende Weltgott.“ Diese Idee vom Nichts, vom nicht Sichtbaren, ist Anlass für mich, zu fotografieren – das zu zeigen, was wir übersehen. Meine Bilder sind ja nicht inszeniert. Sie stehen einerseits in der Tradition der Street Photography, andererseits des Object trouvé. Es ist alles da, ich verhelfe ihm nur zur Sichtbarkeit.
In Schwarz-Weiß betonen Ihre Bilder das Innehalten, um sich dieser Wahrnehmung zu öffnen. Im Gegensatz zur Komplexität der Farbfotografie ist hier nur der Blick modern, aber das Schwarzweiß ist es nicht.
Anfangs fiel mir das nicht so leicht. Um meinen Blick nicht zu stilisieren, habe ich bewusst nur mit dem Handy fotografiert. Allein der Begriff des „Suchers“ ist verräterisch: Das Motiv habe ich ja schon gefunden, aber durch den Sucher richte ich mich neu aus, und schon ist mein Blick verfremdet.
Eine besondere Ruhe spürt man bei dem Mann, der mit dem Rücken zu einer Kirche sitzt, abgewandt von einer Skulptur mit Maria und Christus am Kreuz.
Mit seinem Vollbart hat er für mich Ähnlichkeit mit Jesus Christus. Und das Kruzifix als Symbol interessiert mich sowieso. Warum hängen wir uns mahnend den idealen Menschen an die Wand und nicht Satan? In der Alba Gallery in Wien habe ich aus dem Kruzifix eine Uhr gemacht, bei der Jesus um zwölf Uhr am Kreuz hängt und um halb sechs der Antichrist ist. Die Uhr beschreibt das wiederkehrende Moment. Wir sind offenbar verdammt, unsere Ideale immer wieder aufs Neue zu verraten.
Mahnung und Schuld sitzen uns westlich geprägten Menschen im Nacken, was uns nicht gerade ein gutes Selbstwertgefühl beschert, weswegen wir uns selbst und andere geißeln und uns abrackern, und schon sind wir im kapitalistischen Hamsterrad – obwohl mit der Ursünde ja das Paradies verknüpft ist. Das kommt bei Ihnen nicht vor.
Viele meiner Bilder zeigen die Entfremdung zwischen Mensch und Natur. In der Gemäldegalerie in Berlin hängt das Bild „Adam und Eva im Paradies“ von Lucas Cranach dem Älteren. Hinter den Figuren sieht man einen Wald mit Tieren. Genau das müssen wir verstehen: Wir sind schon im Paradies. Aber wir verklären es zum Schlaraffenland und sehnen uns danach, obwohl wir schon längst da sind.
Interessiert Sie das Glaubensthema, weil es auch im „Jedermann“ vorkommt?
Ja, ich frage mich: Wer sind die neuen Götter? Wie hat sich der Mensch vom Glauben an sich selbst entfernt? Was bedeutet es, sich zu Gott zu bekennen? Darum geht es auch im „Jedermann“, der geläutert wird. Das hat mich letztes Jahr sehr überrascht: Bei der Idee des „Jedermann“ ist verlorengegangen, dass es sich um eine Allegorie handelt. Dabei heißt das Stück so, weil wir alle damit gemeint sind. Der Untertitel „Das Sterben des reichen Mannes“ ist missverständlich, da wir uns nicht als reich begreifen – aber wir alle sind „der reiche Mann“. In Salzburg zeige ich übrigens auch eine Schau in der Alba Gallery, mit dem Titel „Good Gosh“ – da geht es um Scheinheiligkeit.
Die raue Welt ihrer Fotografien könnte keinen größeren Widerspruch zu Salzburgs Barockkulisse darstellen. Wollen Sie das Festspielpublikum herausfordern?
Ich will niemanden missionieren, sondern fotografiere, um mich selbst zu konfrontieren. Das ging mir auch bei „Hamlet“ in der Schaubühne so. Viele Regisseure idealisieren die Figur als modernen, neuen Menschen, der die verrohte Gesellschaft anklagt. Aber vor allem muss man diese Defizite an sich selber festzustellen und sich mit den Widersprüchen konfrontieren. Nur über die Reflexion kann es eine Veränderung geben.
„Black & White Thinking“,
Leica Galerie, Salzburg
bis 10. September 2022