Die 86-jährige Joan Jonas verzaubert das Münchner Haus der Kunst mit einer farbenfrohen Melange aus Tanz, Musik und Videos
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13.09.2022
Jonas, die in New York lebt, hat in den 1950er Jahren am Holyoke College in Massachusetts Geschichte und Bildhauerei studiert, später noch Musik. Sie beeinflusste sowohl Marina Abramovic als auch Pipilotti Rist. Manchmal wird sie mit Kiki Smith verglichen. Sie versteht sich als Ausübende einer feministischen Kunst, ohne das als eigene Kategorie zu verstehen oder zu benennen.
Es gibt ein paar Gewohnheiten von Joan Jonas, die zu kennen sich lohnt, wenn man in die Münchner Schau kommt: Sie arbeitet stets mit verschiedenen Medien – teils sehr einfach, teils Hochtechnologie. Papier spielt eine große Rolle, oft zeichnet sie in der Performance und schaut dabei mitten in die Kamera. „Ich zeichne, aber ich mache keine Malerei – außer mit dem flüssigen Bildschirm“. Auch in einer trancehaften Performance sei sie stets sehr bei sich, hat sie mal gesagt – „wenn man zu einem vorproduzierten Video live interagiert, ist Timing alles“. Häufig ist Wind, der das Geschehen in Filmen oder Videos aufmischt, entscheidend bei ihr. Immer wieder tauchen auch Jonas‘ drei eigene Hunde in Zeichnungen oder Performances auf. Ihre Botschaften sind oft hochästhetisch, enigmatisch und komplex – sie verweigern sich dabei einigermaßen stur einer eindimensionalen Lesart. Jonas hält dafür seit jeher das Experimentieren als Tugend hoch. Ihre Themen sind wiederkehrend – verschiedene Tiere, die Elemente, die Natur.
In einigen Schlüsselwerken, die in der Ausstellung das Tor zu Jonas‘ Biografie aufsperren, wird diese Vielschichtigkeit schnell offenbar. So bezeichnete die Installation Stage Sets 1976 einen Wendepunkt, weil Joan Jonas damit zu einem erweiterten – dynamischen – Skulpturbegriff und zu einer statischen Ausstellungs-Praxis für ihre performativen Formate fand. Juniper Tree (über den Wacholderbaum im Brüder-Grimm-Märchen, 1976/1994) und Lines In The Sand (2002) sind Werke, die aus der Umschreibung von tradierten Erzählungen entstanden. Der Draußenbereich rund um den Eingang des Hauses der Kunst gehört dem als Loop gezeigten, stets auch für Passanten wahrnehmbaren Video Wolf Lights von 2004/2005, das sich um Herrschaftsstrukturen dreht. Drei Requisiten in Holzboxen aus der Serie My New Theater (1997-2006) – minimalistisches Objekt, Guckkastenbühne, Camera obscura – stehen stellvertretend für Raum, Illusion und Rahmung: das surrealistische Moment bei Jonas.
Gefragt, was an ihren Performances jetzt anders sei als in den Sixties, antwortete sie einmal: Sie bewege sich heute mehr und schneller. Auf der Pressekonferenz in München sagte sie am Donnerstag: Wenn sie ältere Performances wieder aufführe, passe sie diese exakt an die Raumgrößen und Umstände an. „Ich füge dann alles neu zusammen. Ich will mich nicht wiederholen“. Im Haus der Kunst sieht man das am besten an Reanimation (2010 bis 2013) in der Haupthalle, das im Zentrum der Schau steht. In der einst auf der documenta 13 uraufgeführten Multimedia-Installation verhandelt Joan Jonas das Verhältnis von Natur und Kunstschöpfung. Einerseits werden vier Videos von mächtigen isländischen und norwegischen Gletschern, die sie bereist hat, gegeneinander projiziert, andererseits ist der Akt des Zeichnens im Schnee dargestellt. Der Binnenraum ist mit farbigem Licht, wind-bewegten Kristallkugeln, Kästen und einer Bank möbliert.
Aus dieser Kunst der Anpassung entsteht in München ein spektakuläres Super-Surplus: Jonas verändert das Raumbild total. Der unmenschliche Maßstab des Hauses der Kunst bekommt eine zauberhafte, farbige und lichtdurchflutete Körperlichkeit. Bunt, schillernd, viel, alle Werke arbeiten aneinander und miteinander. Das ist Joan Jonas. Ein graues, vom Naziarchitekten einst mit Blutwurstmarmor und viel zu großen Säulen dekoriertes Interieur wird bei ihr zum Farbenrauschbild. Das ist im Haus der Kunst der größte Gewinn: aus schrecklicher Architektur entpuppt sich schöne. So wird das Monument für eine falsche Idee von früher zum Echoraum für das richtige Leben heute.
„Joan Jonas“
Kuratiert von Julienne Lorz und Andrea Lissoni mit Elena Setzer
Haus der Kunst, München
bis 26. Februar 2023