Wayne Thiebauds Bilder von schönen Menschen und cremigem Gebäck erinnern in der Basler Fondation Beyeler an die Blütezeit der Pop-Art
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28.03.2023
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Erschienen in
Weltkunst Nr. 211
Wayne Thiebaud, 1920 in Arizona geboren, soll in einem Mormonen-Haushalt aufgewachsen sein, was seinem genuinen Blick für die diesseitigen Dinge aber keinen Abbruch tat. Von frommem Schauder vor der benennbaren Welt zeugt nichts in der Vita des offenkundig früh zeichenbegabten jungen Mannes. Er hatte Erfolg mit seinen Karikaturen, verdingte sich als Comiczeichner in den Disney Studios und machte in den Fünfzigerjahren an der California State University seinen Master of Arts. Später wurde er Professor, und eine Sechzigerjahre-Fotografie zeigt ihn bei der freundlichen Unterweisung einer Mal-Aspirantin, beide in sauberer Arbeitskleidung. Das Factory-mäßig verwegene Outfit hat Thiebaud ein langes Leben lang gehasst. Undenkbar, dass er sich mal als zeittypischer Künstlerfreak geoutet hätte. Was immer auch eine gewisse Distanz zur Szene und ihren angesagten Auftritten schuf. Thiebaud blieb ein verlässlicher Lieferant lupenreiner Pop-Art-Produkte, aber einen wirklichen Thiebaud-Hype, den gab es nie.
Und nie war es so, dass man sich in der Unübersichtlichkeit des Werks verirrt hätte. Denn am ordentlichen Sachstand war kein Zweifel erlaubt: Toilettenartikel, Konditoreiwaren, Püppchen, Spielsachen, Dreiecktoasts, Hochzeitstorten, Hotdogs, zweilagig gefüllt, Stadtansichten aus großer Höhe, Landschaften aus weiter Ferne und dann und wann ein Mensch, der die Rolle des Unbeteiligten mit gelassener Professionalität spielt. In einem langen, hellwachen Gespräch mit dem New Yorker Kritiker Jason Edward Kaufman hat der greise Künstler – nur Monate vor seinem Tod – noch einmal zu seinen Gegenständen Stellung genommen: „Nehmen wir etwa eine Krawatte oder einen Lutscher: Das sind so elementare Formen, dass man nicht die Erinnerung bemühen muss. Dasselbe gilt auch für viele andere Objekte, die ich male. Normalerweise wähle ich sie wegen ihrer eindeutigen Schlichtheit aus. Oder es handelt sich um Dinge, die fast zum Inbegriff unseres Alltagslebens geworden sind.“
Ob das mit der Elementarform der Krawatte noch so stimmt, darf getrost bezweifelt werden. Und auch der Lutscher scheint als obligates Mundstück weitestgehend aus der Mode geraten zu sein. Den Künstler freilich sieht man auf den Fotodokumenten seines Lebens kaum einmal ohne Langbinder. Was auf sinnige Weise die unaufhaltsam schleichende Historizität seines Werks demonstriert. In keiner Caféhaustheke würde man noch Feingebäck à la Thiebaud finden. Und auch den Badeanzug, den die Eisschlotzerin trägt, hätte kein Strandverkäufer mehr im mobilen Sortiment. Auch das ist durchaus faszinierend, wie das, was so aufdringlich gegenwärtig tut, unversehens vergangen erscheint und dabei ebenso unversehens frei wird für den Blick auf das, was am Gegenstand Malerei ist und bleiben wird.
Mag sein, dass es der Maler mit den Süßwaren doch etwas übertrieben hat. Vielleicht liegt es ja auch an der Auswahl des Basler Kurators Ulf Küster, dass man leicht überzuckert das Lebenswerk durchstreift. Andererseits sollte man die Hochstimmung nicht verachten, in die man gerät, wenn man vor den späten, mit 85 Jahren gemalten fünf Törtchen („Cake Assembly“, 2005) stehen bleibt und erst nicht weiß, warum. Bis man die fünf bläulichen Rundschatten entdeckt, die das seitlich einfallende Licht wirft und die sich wie ein eigenes Bild über das Bild legen und das Farbklima bestimmen. Von dem Augenblick an sieht man Malerei, und die verführerische Patisserie zerfällt in ihre Aromastoffe.
Was bleibt, ist überaus bedachte Farbkultur. Malerisches Ereignis, das ganz ohne den Gestus der Virtuosität die provokanten Bildgegenstände in koloristische Aktionsräume überträgt. Jeder Schattenwurf dient der Raumvertiefung. Und nichts im Raum, was nicht seinen präzise abgemessenen Platz hätte. So entsteht der Schnappschusseindruck aus feinstem Kalkül, dass man meinen könnte, Thiebaud ginge es viel weniger um seine kuriosen Sujets als um das komplexe Farbzusammenspiel, das sich an ihnen zeigen lässt.
Nun wäre dieses weitgehend ungesehene Werk aber verkannt, wenn man dem Maler unterstellte, in Wahrheit sei er ja nur an der Delikatesse der Farbe interessiert, und seine Gegenstände aus der immer gleichen Güteklasse seien allenfalls Reflexe auf jenen sachbezogenen, unkompliziert diesseitigen American Way of Life, in dem sich seine Malerei entwickelt hat. Natürlich hat Thiebaud auch etwas zu sagen, wenn er ein Törtchen ans andere reiht. Und was er sagen möchte, ist mit dem Hinweis auf den feinstofflichen Farbauftrag der Zuckerglasur und aufgespritzten Sahnehäubchen vielleicht doch nicht schon erschöpfend gesagt.