Interview mit Gerwald Rockenschaub

„Mein Atelier ist der Computer“

Der österreichische Künstler Gerwald Rockenschaub hat das Schlossmuseum Linz in ein farbenfrohes Gesamtkunstwerk verwandelt. Ein Gespräch über Wiener Schmäh, Clubkultur und die Komposition von Bildern

Von Tim Ackermann
25.05.2023

Herr Rockenschaub, Sie sind als Künstler und als DJ tätig: Wie wichtig ist Musik für Ihre Kunst?

Um mit einem Missverständnis aufzuräumen: Als DJ bin ich schon seit 1999 nicht mehr „tätig“, außer gelegentlich bei speziellen Anlässen für Freunde. Einfach ausgedrückt: Ich komponiere meine Werke und Ausstellungen ähnlich wie Musikstücke. Dadurch, dass ich eher als Liebhaberei auch Musik mache – siehe meine CD „Private Pleasures“ von 2004 – welche ich gelegentlich auf SoundCloud veröffentliche, hat für mich das eine natürlich mit dem anderen zu tun. Etwa bezüglich Rhythmik, Dynamik, Dramaturgie. Wenn ich am Computer eine meiner Animationen schaffe, die als „bewegte Bilder“ im Loop laufen, dann erlaube ich mir zum Beispiel nach der sechsten, siebten Wiederholung eine kleine Abweichung, einen „Break“: Eine Form verlässt dann die Komposition an einer anderen Stelle als vorher, oder ich erzeuge eine minimale Modifikation einer Form oder Bewegung, oder ich baue eine kleine Pause ein. Eine halbe Sekunde lang geschieht dann etwas Anderes oder gar nichts, und danach fängt alles wieder von vorne an und so weiter.

Der Ausstellungsraum scheint bei Ihnen ebenfalls unmittelbar zur Kunst zu gehören.

Ja, ich komponiere und inszeniere jede Ausstellung immer auf den jeweiligen Raum hin. Ich denke immer in Ausstellungen, in Zusammenhängen und weniger in einzelnen Werken. Einzelne Arbeiten haben für mich immer eine bestimmte Funktion im jeweiligen Ausstellungsdesign, im Ausstellungslayout und werden genau dafür gemacht.

Gerwald Rockenschaub Untitled (Relief)
Gerwald Rockenschaubs „Untitled (Relief)“, 2018, zu sehen bis zum 2. Juli im Schlossmuseum Linz. © Courtesy Thaddaeus Ropac

Ob das nun 2011 im Kunstmuseum Wolfsburg war, wo ich eine 66 Meter lange und 10,5 Meter hohe Wand mit piktogrammartigen Motiven dekoriert habe, oder kürzlich im Belvedere 21 in Wien, wo bis März eine Auswahl von Animationen auf 24 Monitoren in einer ortsspezifischen Installation zu sehen war. Oder jetzt eben in meiner Ausstellung „reappropriation (allure/construct)“ in Linz, wo ich eine Auswahl verschiedener Werke von 1981 bis 2020 zeige. Dafür habe ich ein funktionales Rastersystem aus schwarzen Linien und verschiedenen Farben entworfen, welches ich an die charakteristischen Besonderheiten des Ausstellungsraums angepasst habe. In dieses Layout habe ich dann die diversen unterschiedlichen Arbeiten in einer speziellen Aneinanderreihung eingefügt.

Ihre Kunst wirkt tatsächlich wie die Befreiung der Malerei von der Wand. Die Malerei wird räumlich, greift in den Raum hinein. Es entsteht eine Art Kontinuum, bei dem man nicht mehr klar abgrenzen kann: Hier ist das Museum und dort das Kunstwerk. Es wird alles eins.

Ich weiß jetzt nicht genau, worauf Sie hinauswollen …

Ich versuche, den Begriff Gesamtkunstwerk zu vermeiden.

Ich habe mir darüber im Bezug auf meine Arbeit noch nie wirklich Gedanken gemacht.

Belvedere 21 “circuit cruise / feasible memory/regulator”
Für die Ausstellung im Belvedere 21 entwickelte der Künstler ein funktionales Rastersystem aus schwarzen Linien und verschiedenen Farben, welches an die charakteristischen Besonderheiten des Ausstellungsraums angepasst wurde. © Foto: Rudolf Strobl

Haben Sie aber das Gefühl, sie hauchen der Geometrie Leben ein?

Ja? Manchmal … vielleicht …

Glauben Sie, dass Geometrie auch Gefühle transportieren kann?

(Pause)… Na ja, mich interessiert da grundsätzlich eher Form, Farbe, Funktion und die rationale Ebene.

Da sagen Sie noch nichts über das Gefühl.

Ich habe natürlich keine Ahnung, was eine Person, die meine Werke sieht, dabei empfindet. Und selbst wenn ich das steuern könnte, würde ich es nicht wollen. Kunst ist, so wie ich das sehe, ein Angebot und ich will ganz bestimmt niemandem vorschreiben, wie jemand etwas sehen oder interpretieren soll. Die Person, die Kunstwerke betrachtet, macht im besten Fall für sich irgendetwas daraus. Und entwickelt halt Gefühle oder auch nicht. Oder ist irritiert oder auch nicht.  Bei meinen Ausstellungen gibt es, denke ich, schon einige verschiedene Zugangsmöglichkeiten. Wenn jemand nicht den Willen oder die Fähigkeit hat, mein Angebot zu decodieren, ist das für mich kein Problem. Ich arbeite natürlich mit verschiedenen Codes: Code Geometrie, Code Abstraktion…

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