Schaulager Basel

Raus aus der Kiste

Wahrscheinlich gibt es keinen Ort auf der Welt, wo Kunstwerke besser aufbewahrt werden als hier. Ein Rundgang durch das Schaulager, das mit einer großen Ausstellung sein 20-jähriges Jubiläum feiert

Von Matthias Ehlert
20.06.2023

Dieter Roth selbst hat hierfür den Grundstein gelegt, indem er reichlich Bildmaterial zu der Arbeit hinterlassen hat – Fotos, Polaroids und Videoaufnahmen, die den Zahn der Zeit, aber auch Besuchs- und Umbausituationen dokumentieren. Isabel Friedli zeigt mir enthusiastisch einige der Polaroids. Es sind Bilder von ganz eigentümlichem Reiz, die langsam verwitternden Büsten darauf erinnern an archäologische Funde. Es scheint, als hätte ihnen Roth mit diesen Polaroids eine weitere Dimension hinzugefügt. Er befreit nicht nur die Porträtbüsten von ihrem Ewigkeitsanspruch, sondern lässt sie parallel im Zeitraffer zu Artefakten der Kunstgeschichte werden.

Doch wie geht man mit dieser Unmenge von Bildern am besten um? Isabel Friedli bat den Künstler Peter Fischli, der mit David Weiss zusammen als Künstlerduo Fischli/Weiss zu dessen Lebzeiten einige der schönsten Künstlerbücher geschaffen hat, eine Auswahl zu treffen. Für Fischli lag der Wert der Bilder in ihrer schieren Überwältigung, sodass er vorschlug, alle Roth-Bilder zu publizieren. Sie erscheinen nun in einem seriellen Layout und machen die Monografie auf diese Weise selbst zu einem Künstlerbuch. Es wird noch da sein, wenn die Türme längst zerfallen sind.

Peter Fischli / David Weiss Schaulager Basel
Peter Fischli / David Weiss, „Ohne Titel (Los Angeles Fed Ex)“, 1990 und ein Ausschnitt von Peter Fischli / David Weiss, „Tisch“, 1992–1993. © Foto: Gina Folly

Dem Namen Fischli begegne ich kurz darauf noch zweimal wieder, als ich mit Andy Blättler eine Tour durch die Lagerräume unternehme. Er arbeitet als Kunstvermittler im Schaulager und führt Schulklassen, Hochschulgruppen oder Forschungsbesucher durch die Sammlung. Schon sein flamboyanter Kleidungsstil verrät eine große Passion für die Kunst, die sich in seinen von ansteckender Begeisterung geprägten Erläuterungen fortsetzt. Mit seinem Chipschlüssel öffnet er mir die fensterlosen Räume, manche davon mit den Ausmaßen eines großen Hotelzimmers. Monika Sosnowska, David Claerbout, Andrea Zittel, Paul Chan … es ist ein Who’s who der zeitgenössischen Kunst, das man hier antrifft. In einem Raum ist eine riesige Installation von Fischli/Weiss aufgebaut („Tisch“) – Hunderte akribisch nachgeformter Alltagsgegenstände aus den frühen 1990ern, von denen jeder einzelne ganz subjektive Erinnerungen auslöst. Am Ende unseres Rundgangs zeigt mir Andy Blättler einen gerade frisch eingerichteten Raum. Dort sind jüngst erworbene Arbeiten von Gina Fischli zu sehen, der Tochter von Peter Fischli. Tortenskulpturen aus Knetmasse teilen sich den Raum mit niedlichen Tierplastiken, die aus Kissen und Altkleidern herauswachsen. Eine Fotocollage an der Wand zeigt Fuchs und Katze in traulicher Zweisamkeit. Die kindlich-bunte, leicht überzuckerte Atmosphäre wirkt vertraut und befremdlich zugleich. Gina Fischli, die bei der Gestaltung des Raumes einbezogen war, erzählt mir später am Telefon, was es mit diesen Werken auf sich hat. „Ich hatte damals viele Youtube-Filme geschaut, in denen Mütter für ihre Kinder Geburtstagskuchen backen. Und da spürte ich immer diesen Moment, wo Dekoration in Verzweiflung umschlägt. Soll ich hier noch ein Herzchen draufpacken oder da, ist der Kuchen wirklich schon fertig? Ich empfand das als ganz ähnlich zu meiner Arbeit mit Skulpturen, zu der Art, wie man als Künstler in der Welt existiert.“

Dass ihre Arbeiten nun im Schaulager aufbewahrt werden, empfindet sie als kleines Wunder: „Es sind Werke meiner ersten Ausstellung in New York im Februar 2020, die wegen der Pandemie schon nach wenigen Tagen geschlossen wurde. Ich hatte befürchtet, dass niemand sie gesehen hat.“ Maja Oeri jedoch hatte die Installation besucht und beschlossen, sie für die Stiftung zu erwerben. Das Schaulager, so wird mir an diesem Tag klar, ist ein Glücksfall für Künstlerinnen und Künstler. Wahrscheinlich gibt es kaum einen Ort, wo ihre Werke besser aufgehoben sind, so sie mehr Pflege und Hingabe bekommen. Ohne dafür auf Dauer aus unserem Blickfeld zu verschwinden. 

Fassade Schaulager Basel
Ein Detail der Fassade, hinter den Spalten verbergen sich die Fenster der Büros. © Foto: Gina Folly

Service

AUSSTELLUNG

20 Jahre Schaulager

„Out of the Box“

Schaulager, Basel

bis 19. November 2023

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