Die Neue Nationalgalerie feiert Isa Genzkens 75. Geburtstag – mit einer klugen Schau, die die ganze Vielfältigkeit dieser großen, radikalen Bildhauerin aufzeigt
Von
18.07.2023
Doch der Hunger nach mehr war stets ihr Antrieb. Schon früh bringt sie ein Reisestipendium nach New York, wo sie sich mit Künstlern wie Dan Graham anfreundete. Sie taucht in die Szene von Manhattan ein, gibt sich dem Nachtleben hin. Beeinflusst von der Architektur in den amerikanischen Metropolen kehrt sie nach Berlin zurück und beginnt die Arbeit an der Serie „New Buildings for Berlin“. Aus Glas und Holz entwirft sie Modelle für bunte Wolkenkratzer, die das Niemandsland am Potsdamer Platz in ein wildes Zentrum verwandelt hätten, wäre Genzken für die Neugestaltung engagiert worden.
Ihre Bauvisionen bleiben Träume, aber die Hinwendung zu glänzendem Material und allem, was flasht, lebt fort. Genzken hat keine Berührungsängste: Mit neonfarbenem Gaffatape und Absperrband, Frischhaltefolie und Glitzersteinchen umhüllt sie ihre Skulpturen ab den Nullerjahren. Manchmal wirken die unperfekten Objekte wie Überreste einer durchzechten Partynacht. Auf einer Skulptur hat Genzken sogar Schnapsgläser abgestellt. Je mehr Punk, desto besser.
Ihre Liebe zum Absurden lässt sie in ihrer späten Werkgruppe, den „Schauspielern“, aufleben. Handelsübliche Schaufensterpuppen gruppiert sie in grotesken Szenarien, verrenkt ihre Gliedmaßen und kleidet sie bisweilen in verrückte Outfits aus ihrem eigenen Kleiderschrank. Die Installationen werden als verfremdete Selbstporträts gedeutet – einsame Charaktere, die maskiert und verloren im Ausstellungssaal stehen. Wären da nicht ihre Accessoires, die zurück auf Genzkens Anfänge zwischen industrieller Produktion und Poesie verweisen.
Das letzte Werk des Parcours führt das Publikum ins Freie, auf den Vorplatz der Neuen Nationalgalerie. Hier wurde Genzkens acht Meter hohe „Pink Rose“ installiert, eine Blume aus Aluminium und Stahl, die sich über das Geschehen erhebt. Das abgenutzte Liebessymbol gewinnt bei Genzken wieder an Bedeutung – als kitschbejahende, lebensfrohe Geste.
In der Welt, in der man Künstlern nahelegt, besonders früh einen wiedererkennbaren Stil auszubilden, nimmt Genzken eine Sonderposition ein: Alle paar Jahre hat sie sich, das führt die Ausstellung eindrücklich vor, neu erfunden. Genzken bewegte sich vom eleganten Minimalismus zum humorvollen Brutalismus und schließlich zum glitzernden Trash – und hat es geschafft, sich treu zu bleiben. Denn was ihre Werke vereint, ist das Interesse am Anderen. Sowohl am direkten Gegenüber als auch an allem, was am Rand der Gesellschaft steht. Nichts ist verschlossen: Isa Genzken hat alle Fenster weit geöffnet.