Die „Bruderstaaten“ im Globalen Süden waren ein wichtiges Thema der DDR-Kulturpolitik und wurden zum beliebten Sujet ostdeutscher Künstlerinnen und Künstler. Eine Schau im Albertinum stellt nun mit selten gezeigten Werken wichtige Fragen zum Verhältnis von Kunst und Propaganda
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06.05.2024
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Erschienen in
WELTKUNST Nr. 226
Bei ihrer Unterstützung des Befreiungskampfes verbündeter Nationen konzentrierte sich die Kunst in der DDR vor allem auf zwei Ereignisse: den Vietnamkrieg und den Militärputsch in Chile 1973. Viele der ausgestellten Kunstwerke sind Auftragswerke, doch die Empathie mit dem Schicksal des unterdrückten chilenischen Volkes und seines gestürzten Präsidenten Salvador Allende war durchaus echt. Unter dem Eindruck der Ereignisse malte Christoph Wetzel ein Tafelbild des toten Präsidenten als Märtyrer. Gehüllt in eine chilenische Fahne, sitzt er zusammengesunken auf einer Art Thronsessel. Das Polster der Lehne ist von Kugeln durchlöchert, im Hintergrund die Schatten seiner vermeintlichen Mörder. Wetzel bediente damit das offizielle Narrativ, Salvador Allende sei einen Heldentod gestorben, obwohl sich der Präsident in den Wirren des gewaltsamen Putsches selbst mit einer Kalaschnikow erschossen hatte.
Einen anderen Weg, sich mit dem Militärputsch in Chile auseinanderzusetzen, wählte 1974 Hartwig Ebersbach. Auf zwölf Tafeln, deren schmale Hochformate wie Särge wirken, malte er in expressiver Farbigkeit getötete Menschen und rief damit die politischen Morde und Folterungen nach der gewaltsamen Machtübernahme Pinochets ins Gedächtnis. Als Vorlage diente ihm ein Polizeifoto aus der Zeit der Pariser Kommune mit zwölf hingerichteten Kommunarden. „Widmung an Chile“ lautet der Titel des Werkes, mit dem der Künstler trotz Trauer und Wut, ganz im Sinne Ernst Blochs, auch ein „Prinzip Hoffnung“ verband. Wenngleich der Traum vom Sozialismus unter chilenischer Sonne zunächst zerschlagen wurde, können die Gescheiterten dennoch die „Sieger der Geschichte“ sein, so etwa die Botschaft.
Während Christoph Wetzels Allende-Bild von offizieller Seite als künstlerisch gelungen bewertet wurde und bis 1989 in der ständigen Ausstellung des Albertinums zu sehen war, verschwand Hartwig Ebersbachs Werk nach einmaliger Präsentation und Kritik an der künstlerischen Umsetzung aus der DDR-Öffentlichkeit. Zu abstrakt, zu schwierig, nicht propagandatauglich! Schließlich wurde es vom westdeutschen Kunstsammler Peter Ludwig erworben.
Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks veränderte sich auch der Blick auf Personenkult und antiimperialistischen Budenzauber. Bilder kubanischer Kunstschaffender aus den 1990er-Jahren offenbaren die leeren Hüllen einer zur Staffage verkehrten Ideologie. Auf Tonels großformatigem „Lenin, qué hacer?“ („Lenin, was tun?“) wird der Revolutionär zu einer Art Bademeister, der weiße Touristen unter Palmen am Strand beaufsichtigt. José Toirac zeigt in fotorealistischer Schwarz-Weiß-Ästhetik eine fahnenschwenkende junge Frau, wofür sie eintritt – oder wogegen – verrät die Flagge nicht. Ein Fidel-Castro-Porträt kombiniert er mit dem „Eternity“-Schriftzug von Calvin Klein. Bissige Kommentare einer nachgeborenen kubanischen Generation, deren Väter noch immer an einer Idee festhielten, von der nicht viel mehr übrig geblieben war als abgedroschene Parolen und Revolutionspathos.
Die „Revolutionary Romances“ waren gewiss keine Liebesbeziehungen, bestenfalls Vernunftehen. Neben dem Bestreben nach völkerrechtlicher Anerkennung der DDR standen die wirtschaftlichen Interessen des rohstoffarmen Landes bei seinen internationalen Beziehungen stets im Vordergrund. Während DDR-Künstler im Auftrag der SED-Regierung das Pinochet-Regime anprangerten, machte ebendiese Regierung gute Geschäfte mit den neuen Machthabern in Chile. Ausgerechnet nach dem Militärputsch erreichten die Handelsumsätze zwischen der DDR und Chile Jahr für Jahr neue Höchststände.
Das Fragezeichen im Ausstellungstitel „Revolutionary Romances?“ beziehe sich einerseits auf die Widersprüche der als Völkerfreundschaften gepriesenen internationalen Beziehungen Ostdeutschlands, andererseits solle es verdeutlichen, dass es sich bei der Präsentation um einen Annäherungsprozess handele, der längst noch nicht abgeschlossen sei, erklärt Kurator Mathias Wagner: „Ganz viele Sachen, die wir hier zeigen, wurden seit vierzig, fünfzig Jahren oder noch nie gezeigt, obwohl sie sich seit den 1960er-Jahren im Bestand der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden befinden. Oft wissen wir wenig über die Biografien der Künstlerinnen und Künstler, über die Provenienz der Werke, ihre Bedeutung und ihre Geschichte. Das ist ein erster Schritt auf einem Weg, der weiterverfolgt werden muss.“
Ist das Kunst oder Propaganda? Diese Frage stellt sich in Dresden nach dem „Bilderstreit“ von 2017 einmal mehr. Damals wurde der dominante westdeutsche Blick auf ostdeutsche Kunst vom Dresdner Kunst- und Kulturwissenschaftler Paul Kaiser scharf kritisiert. Die Einteilung in staatsnahe und staatsferne DDR-Kunst habe dazu geführt, dass die Werke bedeutender ostdeutscher Künstler aus der Dauerausstellung des Albertinums „ins Depot entsorgt“ wurden, so der Vorwurf. Mit „Revolutionary Romances?“ zeigt das Albertinum, dass es bereit ist, seine Räume und Archive für die Diskussion zu öffnen. Zuletzt hatte die Benennung einer Straße nach der 1977 verstorbenen Dresdner Künstlerin Lea Grundig in der Elbe-Stadt für Aufregung gesorgt. Auch Grundig ist mit Arbeiten in der Ausstellung vertreten. Vor allem ihre farbigen Illustrationen für eine Jubiläumsausgabe des „Kommunistischen Manifests“ stechen ins Auge: eine kämpferisch geballte Faust, rote Fahnen, Friedenstauben, gesprengte Ketten, gieriges Kapital, der Kampf der Entrechteten – vier aufwendig collagierte Aquarellzeichnungen, teilweise mit Blattgold veredelt, offenbaren das Können der Künstlerin, das sie in den Dienst einer Ideologie stellte. Kunst oder Propaganda? Sowohl als auch.
„Revolutionary Romances?“,
Albertinum,
bis 2. Juni