Mit der Überblicksausstellung „When We See Us“ feiert das Kunstmuseum Basel die panafrikanische figurative Malerei der letzten hundert Jahre. Im Vordergrund steht bei vielen der gezeigten Positionen die selbstbewusste Freude an den eigenen Kulturen
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04.06.2024
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Erschienen in
Weltkunst Nr. 227
Alltäglichkeiten können ziemlich anziehend sein. Besonders für diejenigen, die von außen auf das vermeintlich Banale blicken. Auf ein Geplänkel im Schulbus zum Beispiel und Männer beim Feierabendbier, auf tanzende Frauen in einer Wohnung und eine Krankenschwester, die eine Spritze zückt. Das Baby brüllt, die Mutter versucht, Ruhe zu bewahren, den Rest kann man sich denken. Normalität eben. Die Dokumentarfotografie ist voll davon, und wenn die Abbildung auch nur ein, zwei Fragen anstößt, taucht man ein und kann sich regelrecht verlieren. Das dürfte auch den Zauber einer neuen Ausstellung im Kunstmuseum Basel sein, übernommen vom Zeitz Museum of Contemporary Art Africa, kurz MOCAA, im südafrikanischen Kapstadt.
„When We See Us“ versammelt panafrikanische figurative Malerei der letzten hundert Jahre. 160 Gemälde von rund 120 Künstlerinnen und Künstlern kommen zusammen, das gesamte Gebäude für die Gegenwartskunst am Sankt Alban-Rheinweg wird bespielt. Das gab es dort in dieser Fülle noch nie, aber manchmal muss es viel sein, richtig viel. Denn dem Team um die Kuratorin und MOCAA-Direktorin Koyo Kouoh geht es um nichts weniger, als die Stereotype von Not und Elend auszuhebeln. Es hätte schon so viele Ausstellungen zum Thema „Blackness“ gegeben, sagt Ko-Kuratorin Tandazani Dhlakama, „doch sie zeigten vor allem Traumata oder Aspekte des Kolonialismus“. Deshalb sei die „Idee der schwarzen Freude“ zentral.
Das verdeutlicht bereits das Plakat der Schau: Ausgelassen wird da Geburtstag gefeiert, ein junger Mann mit Basecap präsentiert seine Torte so übermütig wie einen Fußballpokal. Gleich wird lauthals gesungen. Doch das Bild weist weit über die bloße Party hinaus. Um das zu realisieren, muss man sich freilich in der Bürgerrechtsbewegung Südafrikas auskennen. Der dicht umringte Mittelpunkt ist der südafrikanische Aktivist Steve Biko, neben Nelson Mandela die Ikone des Widerstands gegen die Apartheid. Nach tagelanger Folter starb er 1977 im Gefängnis von Pretoria.
Ohne Politik geht es dann doch nicht, das ist bei Esiri Erheriene-Essi sehr geschickt verwoben. Die Anfang Vierzigjährige arbeitet mit Fotografien und Dokumenten, um vergessene oder übersehene Geschichten schwarzer Menschen zu erzählen. Das können kollektive oder persönliche Erlebnisse sein, und ganz unwillkürlich reflektieren ihre Gemälde auch das, was nicht stimmig ist oder aufrüttelt. So wie es Steve Biko in seinem kurzen Leben bei unzähligen Menschen geschafft hat.
Das Geburtstagsfoto wurde 1969 aufgenommen, Erheriene-Essi hat sich genau an die Vorlage gehalten, Biko allerdings noch ein Abzeichen mit dem US-Aktivisten Malcolm X aufs Hemd gesetzt. Das macht nicht zuletzt die Zusammenhänge deutlich: Wenn von panafrikanischer Malerei die Rede ist, sind im weitesten Sinne die Wurzeln in Afrika gemeint. Erheriene-Essi selbst hat ihr Atelier in Amsterdam und ist in London als Tochter nigerianischer Eltern aufgewachsen. Eine inzwischen fast typische Biografie, denn viele der vertretenen Künstlerinnen und Künstler kommen aus den USA, aus dem pazifischen Raum oder Lateinamerika, die Jüngeren auch aus Europa, also aus der Schwarzen Diaspora, und nur ein Teil aus Afrika.
Die um kein Bonmot verlegene Kuratorin Koyo Kouoh stellt dann gern pointiert fest, dass Amerika und Brasilien nur weitere afrikanische Länder seien. Entscheidend ist für sie der „360-Grad-Blick auf schwarze Geografien“. Kouoh selbst wurde in Kamerun geboren, kam mit 13 Jahren in die Schweiz und lebt heute in Basel, Dakar und Kapstadt. Dadurch ist sie eine ideale Vermittlerin, weil sie in beiden Welten zu Hause ist, das jeweilige Lebensgefühl teilt und zugleich das Anderssein kennt.
Kouoh interessiert sich weniger für Unterschiede. Was die schwarze Figuration betrifft, hat sie sich vielmehr auf die Suche nach einer parallelen Ästhetik begeben. Voraussetzung war, Künstlerinnen und Künstler zusammenzubringen, die zu denselben Themen gearbeitet haben, ohne voneinander zu wissen, betont sie. Was Kouoh fand, waren dieselben Stimmungen innerhalb einer Generation. Und da können ruhig 14.000 Kilometer und mehr dazwischenliegen.
Der 1912 geborene Südafrikaner George Pemba etwa und der ein Jahr ältere, in New York aufgewachsene Romare Bearden konzentrieren sich in ihren Werken auf den Alltag schwarzer Menschen. Mit seiner Liebe zur Musik ist es bei Bearden eine Jazz-Combo, die 1982 Thema wird, es gibt aber genauso eine 40 Jahre zuvor gemalte Frau, die frisch geerntete Tabakblätter in ihren Händen hält. Von Pemba, der auf der aktuellen Biennale in Venedig mit dem Porträt eines Mädchens in traditioneller Tracht vertreten ist, stammt die eingangs beschriebene Krankenhausszene. Beide Künstler, Bearden und Pemba, würden mit ihren Arbeiten gleichermaßen in die unterschiedlichen, nach Begriffen geordneten Bereiche der Ausstellung passen. Neben dem „Alltag“ und der so wesentlichen „Freude“ sind es Themen wie „Ruhe“, „Sinnlichkeit“, „Spiritualität“ oder – darum geht es am Ende ja – „Triumph und Emanzipation“, die den Bilderreichtum strukturieren.