Seit früher Kindheit ist die Kunst ein Leitstern im Leben der Modedesignerin Agnès Troublé. In Paris erzählt sie uns vom Zeichnen und Sammeln, von ihrer Galerie und wichtigen Begegnungen
Von
23.09.2024
/
Erschienen in
Weltkunst Nr. 229
Mit 17 Jahren heiratete sie einen Freund der Familie, den Verleger Christian Bourgeois, der trotz der nur kurzen Ehe als das „b“ in agnès b. eine bleibende Spur hinterlassen hat. Mit ihm bekam sie im Alter von 19 Jahren Zwillinge. Parallel begann sie bei dem Galeristen Jean Fournier zu arbeiten, der Künstlerinnen und Künstler der abstrakten Malerei wie Sam Francis oder Joan Mitchell vertrat. Die Zeit dort beschreibt sie als äußerst prägend: „Es war großartig zu erleben, wie Simon Hantaï mit Leinwänden unterm Arm vorbeikam. Leicht geduckt, mit seinen kurzen blonden Haaren und hochgestelltem Kragen. Ich war damals in der Galerie dafür zuständig, seine Werke für einen Katalog zu erfassen. Und wenn Jean Fournier die abstrakte Malerei verteidigte, dann war das auch immer ein großes Vergnügen.“
Die Begegnung mit Annie Rivemale, damals Leiterin der Modeabteilung des Magazins Elle, bei einem Abendessen stellte dann neue Weichen in ihrem Lebenslauf. Die Redakteurin schätzte Troublés sehr persönlichen „Mix and match“-Kleidungsstil aus Flohmarktfunden und stellte sie als junge Moderedakteurin ein. Nach zwei Jahren aber verließ sie das Magazin wieder, um als Stylistin für verschiedene Häuser zu arbeiten. In diesen Jahren assistierte sie unter anderem auch bei den Kostümen für „Wer sind Sie, Polly Maggoo?“, William Kleins Kultfilm über die Modeindustrie der Sixties. 1975 ist es dann so weit: Agnès Troublé eröffnet ihr erstes eigenes Geschäft in dem damals ziemlich verlassenen Quartier des Halles mitten in Paris. Es ist der Beginn einer beeindruckenden Erfolgsgeschichte, die bis heute mit über 100 Geschäften weltweit andauert.
Ihr Leitsatz ist von Anfang an: Anti-Fast-Fashion. Sie entwirft einfache Modelle, zum Teil inspiriert von Arbeiterkleidung, die sie stets weiterentwickelt und variiert. Keine Werbung, dafür gute Materialien, produziert so weit wie möglich in Frankreich. Das Geschäft gestaltet sie persönlich: An den Wänden ihrer Boutiquen hängen Filmplakate von Godard, Jarmusch, Cassavetes, ausgeschnittene Bilder aus Zeitungen oder eigene Fotos, Vögel fliegen frei herum, die Umkleideräume sind Gruppenkabinen. Und ihr Interesse geht weit über das Herstellen von guter Kleidung hinaus. Ihr Stil wird zum Kommunikationsmittel. Sie schickt Kleider an Künstler, die sie bewundert und die zu ihren Freunden werden. Außerdem ist Troublé, die sich selbst als linke Katholikin bezeichnet, durch den Algerienkrieg und den Mord an ihrem Freund, dem marokkanischen Oppositionspolitiker Mehdi Ben Barka, früh politisiert und pflegt in dieser Zeit Bekanntschaft mit den Philosophen Toni Negri, Félix Guattari und Gilles Deleuze. Dessen Frau Fanny arbeitet in Troublés Geschäft, das schnell zu einem lebendigen und auch politischen Ort wird, an dem es Veranstaltungen und, seit dem Ausbruch von Aids, kostenlose Kondome zum Mitnehmen gibt. Zahlreiche solcher Beispiele zeigen, wie sich agnès b. über die Jahre zu weit mehr als einem Modehaus entwickelt.
Im Jahr 1984 eröffnet sie ihre eigene Galerie, die Galerie du Jour, die heute ein Teil von La Fab. ist. Es ist der Beginn einer langjährigen Zusammenarbeit mit Künstlern wie Kenneth Anger, Jonas Mekas, Martin Parr, Nan Goldin – und der Anfang ihrer Sammlung. Von ihrem ersten Kauf, einer Glitzer-Gouache des französischen Künstlers Robert Malaval, bis zu ihrer heute über 7000 Werke umfassenden Sammlung hat sie jedes Stück selbst ausgewählt. „Ich habe angefangen zu sammeln, ohne es zu merken“, erzählt sie und fügt hinzu: „Es ist eine äußerst persönliche Sammlung. Es kann vorkommen, dass ich mich selbst überrasche, wenn mir etwas gefällt. Es interessiert mich einfach zu schauen, wohin ich die Sammlung instinktiv führe.“
Ihre Auswahl spiegelt ihre Neigung zu transgressiver Popkultur sowie ihre Liebe zur Graffiti-Kunst wider. Durch den Besuch der wegweisenden Ausstellung „Les Magiciens de la terre“ im Centre Pompidou, die 1989 zum ersten Mal zeitgenössische nicht westliche Kunst in einer internationalen Institution zeigte, entdeckte sie die Künstler Frédéric Bruly Bouabré oder Malick Sidibé, die nun zu den Schmuckstücken ihrer Sammlung zählen. Und wo schaut sie heute hin, wollen wir gerne wissen? „La jeunesse“, zur Jugend, lautet ihre Antwort, und man ist nicht überrascht: Passt es doch zu einer Frau, die nie aufgehört hat, mit offenen Augen durchs Leben zu gehen.
„La peinture figurative contemporaine collection agnès b.“
La Fab. in Paris
bis 27. Oktober 2024