Auktionsmarkt für Moderne & Zeitgenossen

Der Kunstmarkt blickt nach Seoul

2022 war ein Jahr der Rekorde. Doch was die Zukunft bringt, ist ungewiss. Denn derzeit ändern sich die Parameter

Von Sebastian Strenger
13.03.2023
/ Erschienen in Kunst und Auktionen 02/23

Wie in allen Märkten ändern sich auch im Bereich der modernen und zeitgenössischen Kunst derzeit die Parameter. Zunehmend in den Fokus rücken überall auf der Welt die Künstlerinnen. Großen Anteil an dieser Entwicklung hatten im vergangenen Superkunstjahr mit der Kasseler Documenta, den Biennalen in Venedig und Berlin sowie der diesmal im Kosovo veranstalteten Manifesta eine Vielzahl von Ausstellungen zu feministischer Kunst, bei der vor allem „The Milk of Dreams“ der Venedig-Biennale für den gesamten Kunstbetrieb Signalwirkung hatte. Bei Sotheby’s waren die beiden Topzuschläge für Künstlerinnen im vergangenen Jahr Louise Bourgeois’ Bronze „Spider IV“ Ende April in Hongkong mit umgerechnet über 13 Millionen Euro sowie das Mitte November in New York bei 12 Millionen Dollar zugeschlagene Porträt „De Romana de la Salle“ von Tamara de Lempicka.

Allein am weltweiten wichtigsten Standort für die zeitgenössische Kunst in New York wechselten in den letzten zwölf Monaten 119.400 Werke von Gegenwartskünstlern die Besitzer – ein Plus von 12 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Weltweit lag das Ergebnis in diesem Sektor laut Artprice bei 2,7 Milliarden Dollar. Damit hat sich der globale Umsatz mit Zeitgenossen seit den früher Nullerjahren um das 31-Fache erhöht – zur Jahrtausendwende hatte er noch bei 90 Millionen Dollar gelegen. Im Gegensatz zur Moderne waren die Auktionsumsätze mit zeitgenössischer Kunst in den letzten zwölf Monaten aber leicht rückläufig. Das lag vor allem an der Null-Covid-Politik Chinas, die im Land zu einem Umsatzeinbruch geführt hat – weshalb China im zeitgenössischen Segment die Führungsrolle wieder an die USA abgeben musste. Dennoch konnten sich die asiatischen Auktionshäuser insgesamt gut behaupten. Für die Kunst im 20. und 21. Jahrhundert belegten sie nach Angaben des aktuellen Artnet-Reports sogar die Hälfte der Top-Ten-Plätze. Ebenso für die Platzierungen zwischen Rang 11 und 20.

Louise Bourgeois Spider IV Sotheby's
Zu den Topzuschlägen für Künstlerinnen gehört Louise Bourgeois’ Bronze „Spider IV“, die bei Sotheby's in Hongkong umgerechnet über 13 Millionen Euro realisierte. © Sotheby's, Hongkong/ VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Für NFTs gab es im Sekundärmarkt 2022 einen starken Rückschlag. Und man darf angesichts der Zahlen vermuten, dass die Luft aus diesem Segment jetzt schon raus ist. Hatte hier der Umsatz 2021 noch 110,5 Millionen Dollar betragen, so sackte er in den vergangen zwölf Monaten auf rund 60 Millionen Dollar ab. Und so blieb dem japanischen Superstar Takashi Murakami angesichts des Preiseinbruchs seiner „Flower“-NFTs von rund 250.000 auf 2000 Dollar nichts anders übrig, als sich bei seinen Sammlern zu entschuldigen.

Der Markt für Künstler unter vierzig Jahren machte 2022 zwar gerade mal 2,7 Prozent aus. Doch mit dabei in diesem neuen, hauptsächlich von Frauen und People of Color geprägten Sektor sind so interessante Positionen wie die des Inders Raghav Babbar oder der amerikanischen Malerin Lucy Bull, die eines der beeindruckendsten Auktionsdebüts des Jahres hinlegte: Ihre Werke vervierfachten regelmäßig den Schätzwert. In diesem Segment ist aktuell eine Rallye um die Marktanteile in vollem Gange. Denn genau um dieses Segment geht es, wenn wir über die Zukunft reden. Für Spekulanten und passionierte Sammler besteht jetzt noch die Gelegenheit, innovative Marktpositionen für relativ überschaubare Beträge zu erwerben – bevor diese Werke, die die allgemeine Trendwende markieren, unerschwinglich werden.

Lucy Bull Giving Tree Phillips
Lucy Bulls Ölgemälde „Giving Tree“ von 2019 brachte bei Phillips in Hongkong ca. 500.000 Euro. © Phillips, Hongkong

Was die wichtigsten Marktstandorte für Moderne und Zeitgenossen angeht, so ist das Rennen um die ersten Plätze noch nicht endgültig entschieden. Neben den Hotspots New York, London, Paris und Hongkong sind nämlich neue Handelsplätze in Sicht – Tokio, Seoul, Singapur –, sodass sich der Markt in absehbarer Zeit weiter verändern wird. Seoul etwa verzeichnete im Sektor zeitgenössischer Auktionskunst zuletzt ein Wachstum von 344 Prozent, was im Auktionshandel 66 Millionen Dollar Umsatz bedeutete, während sich Tokio hier um 55 Prozent steigern konnte. Das bedeutet sicherlich auch, dass sich die Marktpräsenz asiatischer Positionen weiter vergrößern wird, die die Eurozentrierung im Weltmarkt mittel- bis langfristig beenden dürfte. Noch erwirtschaftet das vom Brexit geplagte Vereinigte Königreich mit knapp einer halben Milliarde Dollar Umsatz rund 18 Prozent des weltweiten Markts für moderne und zeitgenössische Kunst. Auf Frankreich mit knapp 70 Millionen Dollar Umsatz entfallen gerade einmal 3 Prozent. Der deutsche Markt, der zuletzt zwar mit Millionenzuschlägen für Gerhard Richter, Baselitz und Richard Serra bei Ketterer Furore machte, stagniert. Und auch die Marktdominanz der deutschen Nachkriegskunst mit Künstlern wie Anselm Kiefer, Joseph Beuys, Georg Baselitz, Gerhard Richter und Sigmar Polke dürfte angesichts neuer Handelsplätze dahinbröckeln. Die Schweiz immerhin konnte bei den Zeitgenossen ein 31-prozentiges Wachstum verzeichnen und dürfte aufgrund besonderer Steuer- und Zollvorschriften auch beim spekulativen Art-Flipping wohl künftig eine herausgehobene Rolle spielen. Ein aktuelles Beispiel dafür lieferte zuletzt die seit 2021 im Zweitmarkt gehandelte britische Malerin Flora Yukhnovich mit einem Zuschlag von 1,3 Millionen Pfund (Taxe 500.000 Pfund) für das vor vier Jahren gemalte Gemälde „Nobody Puts Baby in the Corner“ in der Auktion von Sotheby’s in London am 14. Oktober.

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