Die Holzskulpturen von Ingrid Hartlieb sind Blickfänger, die die Seele zum Schwingen bringen. Über eine Künstlerin, die seit nahezu 50 Jahren unbeirrbar ihren Weg geht und nun auf der art KARLSRUHE im neuen re:discover-Format gewürdigt wird.
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22.02.2024
Dicke Bohlen, Balken, Bretter, Kanthölzer, die sie sich aus dem Sägewerk holt, verarbeitet Ingrid Hartlieb zu ihren Skulpturen. „Ich stelle mich in den Raum und fange mit der Basis an. Und dann wächst die langsam, Schicht für Schicht. Ich warte bis der Leim trocken ist, anschließend wird geglättet und gehobelt und wieder die Kettensäge angesetzt.“ Was sich anhört wie die Arbeitsschritte in einer Tischlerei, folgt einem präzisen künstlerischen Programm: „Alles entwickelt sich bei mir aus der Zeichnung“, erläutert sie, „Bis sich eine Idee so klärt, dass wirklich eine plastische Form herauskommt, ist es ein langer Prozess.“
Später wird sie mir noch ihre Zeichenbücher zeigen, dicke Kladden, in denen der spontane Strich regiert. Einige von ihnen gehören inzwischen der Staatsgalerie Stuttgart, zu Recht, wirken sie doch wie ganz eigenständige Kunstobjekte, in denen vieles schon angelegt ist. Zum Beispiel der „Stammbaum“, den sie gerade in der Mache hat. Eine Hommage an den Baum, die 2024 auf der 9. Schweizerischen Triennale der Skulptur in Bad Ragaz zu sehen sein wird. Gesägtes Material wird wieder zurückgeführt in die runde Form – eine artifizielle Spielerei mit Tiefgang.
Während Ingrid Hartlieb arbeitet, stehen um sie herum die stummen Zeugen aus fast 50 Jahren Kunstschaffen. Sie kennt sie alle beim Namen: „Das da ist meine älteste Arbeit: Die „Große Zwangsjacke“, für die habe ich 1980 den Preis der neuen Darmstädter Secession bekommen.“ Die „Zwangsjacke“ ist auch ein gutes Beispiel für eine besondere Spezialität der Künstlerin. Sie treibt Bleiblech quasi in das Holz hinein, mit Nägeln, Klammern oder Kleber schneidet es in das „lebendige Fleisch“ des Holzes.
Wie kommt sie auf ihre griffigen Titel? Stammbaum, Zwangsjacke, Dolinen, Blickfänger, Abstandhalter (lange vor der Pandemie) oder Fluchtwerkzeuge (lange vor der Migrationsproblematik). „Mir ist der Titel ganz wichtig“, sagt sie. „Ich öffne einen Spielraum für den Betrachter zwischen Titel und fertigem Objekt. Hier ist er mit seinen Empfindungen und Reflektionen gefordert.“ Ihre Titel fliegen ihr zu, aus Gedichten, Romanen, Zeitschriften: „Es sind Worte, die einfach Pling machen. Die Fantasie setzt sich in Bewegung und ich muss dafür die passende Form finden.“
Ihre Galeristin Imke Valentien bewundert an Ingrid Hartlieb die „gänzliche Unabhängigkeit“, den Mut „zur Archaik, einfach zu Urformen zurückzukehren“. Für sie haben ihre Arbeiten eine „unheimliche Kraft. Sie strotzen geradezu vor Energie, zeigen aber auch eine hohe Sensibilität für das Material.“ Kennengelernt haben sich die beiden 2018, als Ingrid Hartlieb von der Kunststiftung Baden-Württemberg den Maria-Ensle-Preis für ihr Lebenswerk verliehen bekam. Imke Valentien war so begeistert, dass sie spontan eine ergänzende Ausstellung ausrichtete. Nun soll ihre Zusammenarbeit innerhalb des neuen re:discover-Formats der art KARLSRUHE weitere Früchte tragen.
Denn obwohl Ingrid Hartlieb nichts an ihrer Künstlerkarriere missen möchte, nicht die Arbeitsaufenthalte in Italien, Paris oder Chicago, nicht die vielen Ausstellungen und das große positive Echo, so fühlt sie sich doch „in den letzten Jahren gar nicht mehr richtig wahrgenommen. Als Frau, als Künstlerin ist man in einem bestimmten Alter nicht mehr sichtbar, das spürt man einfach.“
Das sagt sie ohne Bitterkeit, denn die Arbeit, die fordert ja immer noch etwas von ihr. Und wer weiß, vielleicht folgt sie ja ihrem Vorbild Louise Bourgeois. Die ist mit 86 Jahren groß herausgekommen. Da hat Ingrid Hartlieb ja noch ein bisschen Zeit.
Die Skulpturen von Ingrid Hartlieb sind auf der art KARLSRUHE am Stand der Galerie Imke Valentien zu sehen. Am 23.2. ist sie gemeinsam mit ihrer Galeristin Talkgast auf dem artima art meeting.