Gebäude und Stadtansichten waren von Beginn an ein wichtiges Thema der Lichtbildkunst. Um 1970 entwickelte sich die Architekturfotografie zu einer autonomen Kunstform. Ein reiches, noch verkanntes Sammelgebiet
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26.07.2021
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Erschienen in
WELTKUNST Nr. 185
Grobkörnig und schemenhaft erkennbar ist der Gebäudekomplex auf dem ältesten Foto der Welt, das Joseph Nicéphore Niépce 1822 mit einer Camera obscura aufnahm. Es war der Blick aus seinem Arbeitszimmer im französischen Le Gras. Diese Aufnahme fiel dem Kölner Architekturfotografen Hans Georg Esch spontan ein, als er in einem Interview gefragt wurde, welches Foto ihn am meisten berührt und inspiriert hätte. Schon als Schüler habe ihn das Foto fasziniert, nicht weil es das erste überlieferte Foto überhaupt sei, sondern auch weil es Architektur zeige. „Ich hätte vermutet, dass das erste belichtete Bild vielleicht einen Menschen zeigt – aber nein, es ist der Hinterhof eines Hauses.“
Nach Niépce dauerte es nicht lange, und die Architekturfotografie wurde neben dem Porträt ein großes Thema. Dabei war sie zunächst einmal nur nützlich. Erst sehr viel später erkannte man das Kunstwürdige an ihr. Im frühen 19. Jahrhundert dagegen kam das neue Medium gerade recht, weil es festhalten konnte, was sich rasant wandelte. Seit die Industrialisierung Fahrt aufnahm, machten Gebäude, ganze Stadtteile Platz für Neues. Und die soeben erfundene Fotografie war dabei; 1851 sogar im Regierungsauftrag.
Die besten Fotografen schickte Frankreich im Rahmen der „Mission héliographique“ in alle Landesteile, um bemerkenswerte Bauwerke festzuhalten. Dies war nicht nur der erste öffentliche und kollektive Auftrag der Fotogeschichte. Es war der Kraftakt eines Staates, der nach dem Ende des Absolutismus auf der Suche nach einer nationalen Identität war und die Anknüpfungspunkte dafür in den historischen Denkmälern fand.
Bis heute entstehen die meisten Architekturfotos im Auftrag von Architekten und Bauherren. Diese sehr ästhetisch komponierten, die Architektur perfekt ins Bild setzenden Aufnahmen haben eine nicht zu überschätzende Definitionsmacht. Sie sind es, die unsere Wahrnehmung und Erwartungshaltung an das Gebaute lenken und auf Entwürfe Einfluss nehmen. Die österreichische Kulturwissenschaftlerin Margareth Otti ist nicht allein, wenn sie kritisch von einer „Vermarktungsmaschinerie im Dienste der Repräsentation“ spricht.
Wie gut die Einflussnahme funktioniert, illustrierte Regina Bittner, Direktorin an der Stiftung Bauhaus Dessau, einmal am Beispiel der von Walter Gropius geplanten Reihenhaussiedlung Dessau-Törten. In die Geschichte gingen nur die Fotos ein, auf denen die strahlend helle, geordnete und kubische Vorderseite zu sehen ist. Die vergleichsweise unordentliche, chaotische Rückseite mit Nutzgärten und Kleintierhaltung wurde nicht fotografiert.
Den Gegenpol zur werblichen Fotografie bildet eine künstlerische Praxis, in der sich das Architekturfoto von der Abbildungsfunktion löst, um zu inhärenten Strukturen vorzudringen. Das ebenso exemplarische wie stilbildende Beispiel lieferten Bernd und Hilla Becher. Sie begannen in den späten 1960er-Jahren damit, untergehende Industriebauten nach vorher festgelegten Aufnahmebedingungen in Serie zu dokumentieren und daraus Reihen mit typologischen Objekten abzuleiten. Ihre Einstellung zur Realität prägte schließlich eine ganze Generation von Fotokünstlern, zuallererst die aus Bernd Bechers Klasse hervorgegangenen „Becher-Schüler“ der Düsseldorfer Kunstakademie.
Wer nun als Sammlerin oder Sammler dieses weite Spektrum für sich aufrollen will, hat ein Problem. Denn es gibt keine Kunstgeschichte der Architekturfotografie und auch kein Museum, das sie unabhängig davon, ob sie auftragsgebunden, frei oder im Kunstkontext entstand, systematisch sammelt und als Thema ernst nimmt. Aus dem Museum für Architekturfotografie neben der Museumsinsel Hombroich bei Neuss, das der Fotograf Tomas Riehle mit dem Kunsthistoriker Rolf Sachsse und Mitstreitern 2004 zu planen begannen, wurde nichts.
Erst 2015 erschien mit dem reich bebilderten Buch „Vom Nutzen der Architekturfotografie“ ein Standardwerk, das sich – aus der Perspektive der kommerziell arbeitenden Riege – bislang ungeklärten, grundlegenden Fragen zur Beziehung zwischen Architektur und Fotografie, Ökonomie und Medien widmet.
In den Architekturmuseen und -sammlungen spielt die Fotografie als eigener Gegenstand eine untergeordnete Rolle. Die Bilder, die hier zu Hunderttausenden archiviert werden, kommen meist im Kontext von Architekturnachlässen in die Häuser. Entsprechend beschäftigen sich die meisten Ausstellungen mit dem Werk der Architekten und nicht mit dem der Fotografen, die es visualisiert haben. Es sei denn, es ist einmal nichts anderes überliefert wie im Fall des Architekten Wilhelm Seidensticker. Dessen Werk muss das Baukunst Archiv NRW, das seinen Nachlass verwahrt, nun anhand von Fotos rekonstruieren.
Als einen „Sonderfall“ behandelt man am Deutschen Architekturmuseum Frankfurt (DAM) jene freien Arbeiten, die alle zwei Jahre für den „Europäischen Architekturfotografie-Preis architekturbild“ eingereicht und dort als Sammlung mitbetreut werden. In den daraus hervorgehenden Ausstellungen sehen die Verantwortlichen nur einen „schönen Nebeneffekt“. Das Fazit ist: Sammlerinnen und Sammlern wird der Zugang zum Werk von Architekturfotografen nur dann leichter gemacht, wenn sie vom Kunstmarkt entdeckt und dadurch in die Galerien und Museen gelangen.
Aber nicht Museen und Ausstellungen haben die Architekturfotografie populär gemacht. Eine viel bedeutendere Rolle spielte die Publizistik. Bereits vor 1900 fanden die beliebten Sammelalben in Form von Heftserien eine breite Öffentlichkeit. Preisgünstig kamen weniger betuchte Sammler so an die begehrten Reisefotografien, bei denen es sich großenteils um Architekturansichten handelte. Weitere Impulse setzte die Bildpublizistik, die sich im frühen 20. Jahrhundert als Massenkommunikationsmittel durchsetzte; später dann die populären Architekturbildbände, mit denen etwa der 1980 gegründete Taschen-Verlag neue Maßstäbe setzte.
Architekturfotografie in der Kombination von Bericht und Fotografie war im frühen 20. Jahrhundert noch etwas Neues, diente aber lediglich als Beweis für die Authentizität der Berichterstattung. Das galt auch für das Bauhaus, das mit eigens gestalteten Mappen, Büchern und Beilagen seine aktuellen Architekturprojekte vermarktete. László Moholy-Nagy etwa sah in dem fotografischen Apparat nur ein „verlässliches Hilfsmittel“ auf dem Weg zu einem „neuen Sehen“, das auf eine grenzüberschreitende Erweiterung der Bildsprache hinauslaufen sollte.
Seine Frau Lucia Moholy dagegen entwickelte in ihrer 1926 fotografierten Serie der Dessauer Bauten ein Instrumentarium, um Struktur und Botschaft dieser neuartigen Architektur zu vermitteln. Pragmatisch und mit System näherte sich Moholy ihrem Gegenstand, von der Übersichtsaufnahme aus allen Himmelsrichtungen über die Halbtotalen einzelner Gebäudekomplexe bis zu charakteristischen Nahansichten. Ihr berühmtestes Bild zeigt das Werkstattgebäude aus der Steilperspektive und bringt den kompakten Baukörper mit seiner in den Himmel emporstoßenden Schrägform zum Schweben.
Damals wurde die Fotografie gerade erst als Medium mit eigener Technik und eigenen Ausdrucksmitteln entdeckt. Verpönt war, damit Effekte wie in der Malerei erzielen zu wollen. „Überlassen wir daher die Kunst den Künstlern“, forderte Albert Renger-Patzsch 1927 in „Das Deutsche Lichtbild“ – nicht ahnend, dass seine mit Kalkül komponierten, die Texturen und Formbeziehungen von Gebäuden herausarbeitenden Aufnahmen auf dem Kunstmarkt einmal zu den höchstbewerteten Werken deutscher Fotogeschichte gehören würden.
Begehrt sind auch die mit Licht und Schatten akzentuierten Fotografien, mit denen Werner Mantz von 1926 bis 1932 die formalen Qualitäten des Neuen Bauens in Köln ins Bild setzte, insbesondere im Auftrag des Architekten Wilhelm Riphahn. Maß, Zahl, Ordnung und Verhältnis bestimmten Mantz’ ästhetische Anschauung von Architektur. Ihre soziale Funktion als bewohnte Architektur interessierte ihn nicht, ganz im Gegensatz zu Eugène Atget, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts die historischen Bauwerke und Straßen von Paris dokumentierte, oder Walker Evans, der Mitte der 1930er-Jahre im Auftrag der US-Regierung die Lebenssituation der Not leidenden Farmer dokumentierte.