Gebäude und Stadtansichten waren von Beginn an ein wichtiges Thema der Lichtbildkunst. Um 1970 entwickelte sich die Architekturfotografie zu einer autonomen Kunstform. Ein reiches, noch verkanntes Sammelgebiet
Von
26.07.2021
/
Erschienen in
WELTKUNST Nr. 185
Ausschließlich als Architekturfotograf arbeitete Hugo Schmölz, der seinem Biografen Rolf Sachsse zufolge wichtigste und beständigste Chronist deutscher Architektur in den Zwanziger- und Dreißigerjahren. Wie Moholy, Renger-Patzsch und viele andere Fotografinnen und Fotografen überließ er die Zur-Kunst-Erklärung seines Werks späteren Generationen. Heute sind es seine Bilder, die unsere Sicht etwa auf die expressionistischen Kirchenräume Dominikus Böhms maßgeblich mitprägen. Wie keinem Zweiten gelang es Schmölz, komplexe Bauten mit ausgeklügelten Lichtführungen in Bilder zu bannen.
Walter Hege gelang Ende der dreißiger Jahre Vergleichbares mit seinen Aufnahmen barocker Gewölbeansätze. Ebenso souverän wie er das um Säulen und Pfeiler herumfließende Licht aus den Fenstern der Wallfahrtskirche Wies bannte, fixierte er die von seitlichem Streiflicht modellierten Kanneluren des Ehrentempels am Königsplatz in München.
Der Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg bot spezialisierten Fotografen ein reiches Betätigungsfeld. Karl Hugo Schmölz, der Sohn von Hugo Schmölz, galt als meisterhafter und subtiler Übersetzer von Gottfried Böhms amorphen Kirchenräumen. Heinrich Heidersberger tat sich dagegen mit extrem in die Tiefe gestaffelten Baukörpern und grafisch erfassten Fassadenflächen hervor. Der Fotograf, den bevorzugt die Architekten der Braunschweiger Schule buchten, fotografierte den monumentalen Komplex 1971 mit langer Belichtungszeit über den spiegelglatten Mittellandkanal hinweg aus leichter Untersicht vor einem tiefdunklen Himmel. Weiß verwischte Wolkenschlieren geben dem Ganzen eine dramatische Note.
In Amerika setzte Julius Shulman Maßstäbe im Rahmen des Musterhaus-Programms „Case Study House“. Initiator war der Verleger John Entenza. Er veröffentlichte Shulmans Aufnahmen in seinem Lifestylemagazin Arts & Architecture mit dem Ziel, einen ganzen Lebensstil zu verkaufen. Darin war Shulman höchst erfolgreich. Seine Aufnahme des eleganten Bungalows mit Pool, in dem alle Linien der Stahl-Glas-Architektur auf die Rückenfigur des Architekten Pierre Koenig zulaufen, gehört zu seinen bekanntesten Bildern. Entscheidend war, dass Fotos wie diese aussahen wie der wahr gewordene Traum eines modernen Amerikas.
Werbefotografen sind auch die beiden Deutschen Reinhart Wolf und Horst Hamann. Wolf, der schon 1976 mit seinen farbig fotografierten „Gesichtern von Gebäuden“ Aufsehen erregt hatte, stieg vier Jahre später im Auftrag des Magazins Geo in die Spitzen der New Yorker Wolkenkratzer, um dort mit extremen Tele-Brennweiten von einem Gebäude hinüber zum anderen zu fotografieren. Hamann kam in den Achtzigern auf die Idee, die Hochhäuser Manhattans mit einer Panoramakamera vertikal in Schwarz-Weiß zu fotografieren. Ergebnis waren 1998 das mehrfach preisgekrönte Buch „New York Vertikal“ und 1999 eine spektakuläre Installation mit über sieben Meter hohen Abzügen auf den Internationalen Fototagen Herten.
Linear lässt sich die Geschichte der Architekturfotografie nicht erzählen. Denn um 1970 traten Künstler auf den Plan, die zunächst nur ein kleines, an den neuen konzeptuellen Kunsttendenzen interessiertes Publikum wahrnahm. Die Bechers gehörten dazu, auf US-Seite Ed Ruscha und Stephen Shore. Die beiden Amerikaner fotografierten genau das, was Shulman nicht interessierte: den schlichten architektonischen Alltag, fern von jedem Pathos. Ruscha wirkte stilbildend mit Serien wie die für ein Leporello fotografierten Schwarz-Weiß-Ansichten vom Sunset Strip in Los Angeles (1966), Shore in den Siebzigern mit lakonischen Farbbildern von Tankstellen, Hauptstraßen und Siedlungsreihenhäusern. Dabei kam es Shore nicht darauf an, etwas gut aussehen zu lassen. Letztlich ging es ihm um Verdichtung mit den Mitteln von Farben, Strukturen und Licht.
Eine Generation später war die mittlerweile stark gewordene Riege der Fotokünstler so weit, den professionellen Architekturfotografen Anregungen zu liefern. Denn diesen waren die Ideen ausgegangen, wie es der Architekturhistoriker Philip Ursprung darstellt. Fotokünstlerinnen und -künstler wie Candida Höfer oder Thomas Struth führten vor, so Ursprung, „wie aus künstlerischer Perspektive ein neuer Blick auf die Architektur möglich wurde“. Während Höfer, die vor ihrer Ausbildung an der Düsseldorfer Akademie bei Karl Hugo Schmölz volontierte, Struktur und Ordnung menschenleerer, schattenloser Innenräume herausarbeitet, umkreist Struth in seinen Straßen- und Museumsfotos die Wechselwirkung von Gesellschaften und ihrer gebauten Umgebung. Andreas Gursky schließlich bricht auf seinen großformatigen Tableaus die sichtbare Wirklichkeit ins Ornamentale herunter, sodass am Ende nur Form, Zeichen und Signal übrig bleiben.
Leisere Töne als diese Art von wirklichkeitsverhafteter Fotografie schlägt der Kölner Fotograf Reinhard Matz an. Etwa mit seiner 1990 publizierten Serie „Räume oder Das museale Zeitalter“. Eigentlich geht es hier um etwas Abstraktes, nämlich um die Bildwerdung von Empfindungen, die diese genutzten, jedoch menschenleeren Räume ausstrahlen. Ein Momentum, das Matz durch Goldtonung bis in die tiefen, kühlen Schwärzen herausgearbeitet hat. Dass sich Raumerfahrungen mit Phantasmagorien überlagern können, hat die Arbeit der jungen Fotografin Kathrin Esser inspiriert. Sie hinterfragt den idealistischen Kerngedanken der Architektur und versucht, das Besondere eines Raum herauszuarbeiten.
Im angewandten Bereich der Architekturfotografie geriet um 2000 die geleckte, vom menschlichen Leben unberührte Optik in die Kritik. Der Niederländer Iwan Baan, der einmal aufgefordert wurde, den Müll auf einem seiner Fotos für Zaha Hadid zu entfernen, bringt den Menschen zurück ins Bild. So zeigt er in seinem 2010 erschienenen Buch „Brasilia – Chandigarh. Living with Modernity“, wie sich die Bewohner in den visionären Architekturen Oscar Niemeyers und Le Corbusiers heute eingerichtet haben.
Baan ist nicht der Einzige, der die Wechselbeziehung von Gesellschaft und Architektur thematisiert hat. Neunzehn Fotografen waren 2015 an der Ausstellung „Zoom! Architektur und Stadt im Bild“ im Münchner Architekturmuseum beteiligt. Neben Baan etwa Peter Bialobrzeski, der systematisch die Strukturen von Metropolen, insbesondere aus dem asiatischen Raum fotografiert, der Niederländer Lard Buurman, ein Chronist der sozialen und wirtschaftlichen Facetten afrikanischer Städte, oder Roman Bezjak, der den Osten und Südosten Europas auf der Suche nach typischen Bauten der sozialistischen Moderne durchstreifte.
Es wäre wohl übertrieben, zu behaupten, die Architekturfotografie spiele als Sammelgebiet eine exponierte Rolle auf dem Kunstmarkt. Trotzdem findet sie immer wieder ein begeistertes Publikum. Etwa wenn Walter Storms eine Ausstellung mit den Bildern des vor wenigen Wochen verstorbenen Klaus Kinold eröffnet. „Da kommt die ganze Architektenriege“, berichtet der Münchner Galerist. Der Andrang, von dem Storms berichtet, steht allerdings in keinem Verhältnis zur Verbreitung der Architekturfotografie in privaten Sammlungen. „Ich kenne keinen, der die Wände seines Hauses ausschließlich mit Architekturfotografie behängt hätte“, so Storms. Viele Architekten würden Kunst sammeln, manche auch Fotografie und davon wiederum nur manche auch Architekturfotografie. Das deckt sich mit der Einschätzung des Kölner Galeristen Mirko Mayer, der neben Architekten auch Bauunternehmer und Immobilienentwickler zu seinen Kunden für Architekturfotografie zählt.
Nach den Erfahrungen des Berliner Kunsthändlers Thomas Derda gibt es jedoch viele Sammler, bei denen die Architekturfotografie schon deshalb eine Rolle spielt, weil sie so viele Schnittstellen bietet, zum Beispiel mit Design und Drucksachen der Bauhaus-Zeit. So lässt sich etwa eine Arbeit von Otto Lossen, Fotograf der Weissenhof Siedlung in Stuttgart, sinnvoll mit Möbeln Mies van der Rohes und typografischen Werbeentwürfen von Willi Baumeister kombinieren.
Zwei seltene Beispiele für Privatsammlungen, in denen die Architekturfotografie zumindest ein Schwerpunkt ist, liefern Sandro Graf von Einsiedel und Arthur de Ganay. Beide sind Architekten. Der Stuttgarter Einsiedel deckt ein Spektrum ab, das zeitlich mit den fotogrammetischen Aufnahmen Albrecht Meydenbauers Ende des 19. Jahrhunderts beginnt und seine Akzente dann vor allem bei den deutschen Fotografen der Nachkriegszeit hat. Der andere, Arthur de Ganay in Berlin, trägt seit Mitte der Neunzigerjahre großformatige zeitgenössische Werke zum Thema Landschafts- und Architekturfotografie zusammen.
Ansonsten schlägt auf dem Kunstmarkt durch, dass – zumindest hierzulande – weder Institutionen noch private Liebhaber gezielt sammeln. Lucia Moholys Fotopostkarten sind ab 1500 Euro zu haben, größere Formate können auch fünfstellig notieren. Ein gestempelter Vintage-Abzug von Hugo Schmölz aus den Dreißigern schlägt im Handel mit 10 000 Euro zu Buche, ein Bild seines Sohnes Karl Hugo mit 5500 Euro. Die Prints von Bialobrzeski sind ab 2400 Euro zu haben. Werke von Andrea Grützner werden von 2500 bis 10.000 Euro verkauft, inzwischen auch an institutionelle Sammlungen.
International gehandelte zeitgenössische Fotokünstlerinnen und -künstler rangieren in aller Regel in deutlich höheren Preisregionen. Bei den oft mehrteiligen, bis zu viereinhalb Meter breiten Arbeiten von Ola Kolehmainen nennt Mirko Mayer ein Spektrum zwischen 19.500 und 41.500 Euro. Auch für den weniger in Deutschland, aber vor allem in Amerika stark gefragten Robert Polidori beginnt es mit 20.000 Euro. Für unikale, sehr großformatige Arbeiten nimmt die Berliner Galerie Camera Work 80.000 Euro.
Das Preisniveau für gewerbliche Fotografen beginnt bei mindestens 4000 Euro für kleinere Formate. Die Auflagen können dabei wie im Fall Kinolds bei Storms bis zu 30 Exemplare betragen. Größere Abzüge schlagen zwischen 12.000 und 18.000 Euro in Zwölfer-Edition zu Buche. Iwan Baan bekommt man, je nach Format, zu Preisen zwischen 4000 und 9000 Euro, in Auflagen von sechs oder zehn. Manche seiner Motive gibt es unlimitiert aber auch schon für 400 Euro.
Weiter spreizen sich die Preise auf dem Sekundärmarkt. Die Spitze markieren hier die 1,8 Millionen Dollar brutto, die Sotheby’s New York 2015 für Thomas Struths großformatige Innenraumdarstellung „Pantheon, Rom“ von 1990 erzielte. Das höchste Ergebnis der Bechers lag im selben Jahr bei 410.000 Euro für eine Wasserturm-Serie von 1972, erzielt bei Sotheby’s Paris. Candida Höfer bestätigte ihr Topniveau im Oktober 2020 bei Phillips mit 87.500 Dollar für ein Interieur der Pierpont-Morgan-Bibliothek. Gemessen an den Stars der zeitgenössischen Fotokunst rangiert ein Klassiker wie Andreas Feininger weit abgeschlagen. Dessen begehrtestes New-York-Motiv, „42nd Street, As Viewed from Weehawken“ (1942), kam 2015 mit Aufgeld auf 27.500 Dollar.
Nicht allzu viel mehr, nämlich 47.500 Dollar, kostete 2010 das teuerste Bild von Shulman, eine verschattete Ansicht des Kaufmann House in Palm Springs (1947). Am häufigsten gefragt von Shulman war dessen Aufnahme des nächtlich über Los Angeles schwebenden „Case Study House Nr. 22“. In Deutschland bewegen sich die Preise dafür seit Jahren bei rund 10.000 Euro.
Was passiert, wenn Raritäten zum Aufruf kommen, zeigte sich 2016, als Grisebach eine Tranche mit den von Curt Rehbein 1922 fotografierten Wolkenkratzer-Entwürfen und Modellen Ludwig Mies van der Rohes im Angebot hatte. Mit 35.000 bis 50.000 Euro kamen diese gut über ihre Schätzpreise (bis 25.000 Euro). Keiner reichte indes an den 2009 im gleichen Haus erzielten Spitzenzuschlag von 71.000 Euro für eine Aufnahme des nicht mehr existente Modell des „Gläsernen Wolkenkratzers“ heran.
Unter dem Strich dürfte der Versuch scheitern, den Markt der Architekturfotografie auf eine Tendenz festzulegen. Noch erschwinglich sind natürlich die weniger im internationalen Rampenlicht gefragten Namen. Das betrifft nicht nur eine ganze Reihe jüngerer zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler. Auch so mancher Schwarz-Weiß-Klassiker erscheint im Vergleich noch vergleichsweise moderat bewertet.
Hier geht’s weiter: der Service des Sammlerseminars zur Architekturfotografie.