Ein Gespräch mit dem Leipziger Maler Clemens Tremmel, in dessen Werk Zerstörung eine zentrale Rolle spielt, über Sehnsucht, Naturgewalt und die neue deutsche Romantik
Von
10.11.2021
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Erschienen in
Kunst und Auktionen Nr. 18
Der 1988 in Eisenhüttenstadt geborene Wahl-Leipziger Clemens Tremmel gilt als Hauptvertreter einer „Neuen deutschen Romantik“. Allerdings versucht der 2013 mit dem Caspar-David-Friedrich-Preis ausgezeichnete Künstler die (alt-) meisterliche Anmutung seiner Gemälde gestisch zu brechen: Axt, Säge, Schere, Stichel und Hammer sind seine Gehilfen, wenn er treffsicher Spuren von Zerstörung auf ihnen hinterlässt. Mit unserem Autor Sebastian C. Strenger sprach Tremmel unter anderem über den schmerzvollen Verrat am idealen Bild, den er durch diese Interventionen begeht – und den tieferen Sinn dahinter …
Man hat ja schon als Kind seinen inneren Kompass, dem man folgt. Man muss also nicht anderen folgen, sondern hat seine eigenen Überzeugungen. Weiß, was man für erstrebenswert hält – und was nicht.
Absolut!
Ich glaube, so speziell kann ich das gar nicht beantworten. Nun: Ich bin ja ein Maler, den man mit Romantik assoziiert. Also mit „Neuer deutscher Romantik“. Und die Romantik steht ja für das Nah- und Fernweh – wie für viele andere Dinge. Und sie ist eigentlich religiös aufgeladen.
Im klassischen Sinne bin ich kein bisschen religiös. Was mich vielmehr interessiert, sind die Werte, die auch heute noch über die christliche Religion transportiert werden. Werte, die ich auch in mir selbst spüre und für lebenswert halte. Ich versuche über die Landschaften, die ich male, diese Werte zu vermitteln, um sie für die heutige Zeit wieder zu erschließen. Denn ich habe das Gefühl, dass Werte mehr und mehr verloren gehen.
Du weißt ja nicht, was ich nicht glaube … Ich bin keiner Religion zugehörig. Aber man kann auch sagen: Man glaubt an die humanistischen Werte, die zur Zeit der Romantik noch eine große Rolle gespielt haben, und merkt, dass sich vieles verändert hat. Und so meine ich, dass in der heutigen Zeit, da vieles den Bach runtergeht – auch gesellschaftlich –, eine Rückbesinnung erforderlich ist.
Es hat manchmal den Anschein, zu bestimmten Sachverhalten wird einfach von oben herab gesagt: Es ist nun mal so! Aber gerade das geht mir immer auf den Keks! Ich verstehe schon, dass man sich nicht zurückentwickeln kann, aber die Diskussion geht allzu oft in eine Richtung, bei der man schon fast den Eindruck hat: Ich habe darauf gar keinen Einfluss mehr und darf auch gar nichts mehr dazu sagen …
Über die Gesellschaft. Mir scheint es so, dass derjenige, der sich am meisten prostituiert, auch noch unterstützt wird und die meiste Aufmerksamkeit erhält. Und der, der am lautesten schreit und sich am dreistesten verhält, ist der Cleverste! Aber hört man da nicht immer leere Worte? Mir jedenfalls liegen leere Worte ganz fern. Werte werden heutzutage gar nicht mehr wirklich gelebt. Demut, Mitgefühl etc. existieren kaum mehr.
Das ist schon ein bisschen so. Der Mensch, der klein ist vor der Natur, ist ja immer das Thema in der Romantik. Und jetzt – in einer Zeit des Klimawandels, in der die Polkappen abschmelzen – stehen wir vor einer ganz besonderen Herausforderung. Ich war schon sehr früh empfänglich für diese Problematik.
Es ist natürlich schwierig, das, was ich mir jetzt in nahezu 15 Jahren erarbeitet habe, in fünf Sätzen abzuhandeln. Aber ich glaube, in uns allen gibt es so eine Sehnsucht nach Authentizität. Diese Sehnsucht ist in uns verwurzelt. Und sie wird stärker, je mehr Werbung um uns herum aufpoppt. Je mehr Werbeversprechen also in unseren Köpfen herumspuken. Nach dem Motto: Du brauchst das, um glücklich zu sein. Oder: Geh dorthin, um dich zu verwirklichen. Und dann gibt es da auch noch die Lebensformel „Geiz ist geil“, die als gesellschaftliche Perversion das soziale Miteinander auffrisst. Dagegen muss man etwas tun …
Jedenfalls denke ich für mich: Nimm diese Sehnsucht! Und ich finde sie in der Natur. Dort begegne ich – sagen wir es mal so – den wahren Werten. Ich meine: Jeder, der mal wirklich draußen war, an spektakulären Orten, dort, wo die Natur fantastisch ist, erlebt pure Freude. Man wird dort aber auch mit komplexen Fragen konfrontiert. Wie: Meine Güte, was habe ich denn eigentlich wirklich zu sagen? Oder: Ist meine Meinung so wichtig und das, was ich anstrebe? Brauche ich das wirklich, um glücklich zu sein? In der Natur spüre ich jedenfalls sehr deutlich, dass ich mich in einem riesigen Kontext bewege. Dass ich ein winziger Teil des Ganzen bin. Das versuche ich, auf Leinwand oder Aluminium zu bringen.
Es geht jedenfalls nie darum, einfach ein Abbild von etwas zu erschaffen, sondern immer darum, ein Gefühl wiederzugeben, das ein bestimmter Ort auslöst – den Moment einzufangen. So dass man, wenn man vor dem Bild steht, in diesen Moment eintauchen kann. Das kann auf naturalistischem oder auch auf abstraktem Wege geschehen. Den Unterschied machen die Mittel, die man sich erarbeitet.
Ich habe mich immer gefragt: Wie kann ich meine Sehnsucht noch besser verdeutlichen? Wie kann ich mein Thema noch stärker ins Bewusstsein des Betrachters rücken? So habe ich damit begonnen, im Nachhinein Teile meiner Bilder wieder zu übermalen oder zu löschen. Nachdem ich also für mich das Ideal geschaffen habe – das, was ich darstellen musste, woran ich selbst glaube –, negiere ich es auf Basis eines selbstgeschaffenen Action-Scripts wieder. Was mir natürlich auch Schmerz zufügt. Dennoch: Innerhalb von fünf Minuten zu zerstören, woran ich einen Monat lang gearbeitet habe, wurde zum wesentlichen Aspekt meiner Arbeit.