Ein Gespräch mit dem Leipziger Maler Clemens Tremmel, in dessen Werk Zerstörung eine zentrale Rolle spielt, über Sehnsucht, Naturgewalt und die neue deutsche Romantik
Von
10.11.2021
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Erschienen in
Kunst und Auktionen Nr. 18
Mit exakten Schnitten schneide ich Sachen aus dem Bild heraus oder zerkratze die Bildoberfläche. Wenn man dann vor dem Bild steht, trifft man auf eine Lücke – und das löst beim Betrachter zunächst eine Blockade aus. Manche sagen: Meine Güte, die Landschaft wäre so schön, wenn dort nicht die Hälfte des Bildes verloren gegangen wäre. Und genau in diesem Augenblick passiert etwas.
Gerade ein Bildfehler – ein Kratzer oder sonst was – veranlasst den Betrachter, mit dem Bild tatsächlich zu interagieren. Man beginnt, sich Fragen zu stellen. Vielleicht geht einem auch nur die simpelste Frage von allen durch den Kopf: Warum macht der das bloß? Vielleicht regt es einen auch auf – und man kann als Betrachter eigentlich nicht hinsehen. Oder man vermisst etwas – beispielsweise einen Weitblick, den ich entzogen habe. Und vielleicht geht der Betrachter dann ja sogar nach Hause und denkt noch weiter über das Bild nach. Meine Güte, warum dieses Loch oder warum diese Platte davor? Für mich schwingt gleichzeitig auch noch mit, über bestimmte Grenzen zu gehen – was ich schon immer interessant fand.
Ich überschreite eine Grenze, indem ich das, woran ich glaube, im nächsten Moment wieder einreiße. Ich agiere also meinem Idealismus zuwider – übe an ihm Verrat, stelle ihn infrage. Es ist in etwa so, als würde man sich ins eigene Fleisch schneiden und dann zuschauen, wie die Wunde wieder zuwächst. In jedem Fall weiß man nachher, was man erlebt hat – und das finde ich spannend!
Ich suche sie oft dort, wo ich weiß: Okay, da sind bestimmte Landschaften, die mich faszinieren, überwältigen – vor denen ich ganz einfach in einen Strudel gerate. Bestimmte Motive, die mir vielleicht auch erlauben, Bestandteile der Landeskultur in die Komposition zu integrieren.
Auf Island hatte ich zum Beispiel das Gefühl: Da bricht gleich alles aus. Man merkt quasi, dass man auf einem Vulkan steht, der nur schlummert. Diese Kraft, die mir aus solchen Gefühlen erwächst, möchte ich weitergeben. Zuletzt in Jordanien hingegen waren die Eindrücke durch die allgegenwärtige Ornamentik viel verspielter. Ich kam mir vor wie in einem Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Und beim Malen tauchten dann mit einem Mal Figuren auf, die wie ein Mosaik wirkten. Es entstand aus unterschiedlichen Mustern also ein Bild im Bild – und daraus erwuchs dann auch wieder der Wille, das alles zu brechen. Ich legte es also darauf an, wieder aus meinem Muster herauszufallen.
Ich würde sagen, es geht darum, so etwas wie einen Störfaktor einziehen zu lassen, der einen aus seinen Sehgewohnheiten herausholt. Das ist eigentlich ein sehr emotionaler Moment. Daher ist es dann auch schon mal ein ganzer Ausschnitt, der aus einem Bild herausgesägt wird. Es geht mir am Ende immer auch darum, zu einer drastischeren Umsetzung zu gelangen. Damit es am Ende nicht noch heißt, das Bild sei artifiziell.
Sicherlich ist das eine Gefahr. Aber bemühen wir doch mal Malewitsch. Wäre meine Malerei bloß ein schwarzes Quadrat auf weißem Grund, sagte der einmal, was sollte ich dann noch machen; was sollte danach noch kommen? In meiner Kunst spielt sich alles ganz hautnah ab. Sie lebt von den Erfahrungen, die ich sammeln darf, wenn ich auf Reisen bin. Die Farbigkeit im asiatischen Raum ist eine andere als in Europa, wo viele dieser Farben gar nicht auftauchen. Aber man muss sich erst immer mal an der Umgebung abarbeiten, um zu neuen Erkenntnissen zu gelangen.
Stiftung Reinbeckhallen, Berlin
17.November bis 16. Dezember 2023